Über den Versuch, die Isolation zu beenden. Barack Obama und Raúl Castro probten die Annäherung beider Länder
06.03.2018Offizieller Empfang von Barack Obama im Revolutionspalast in Havanna, 21. März 2016. Rechts im Bild: Raúl Castro (Official White House Photo by Pete Souza / Wikimedia Commons)
Vergangenheit und Zukunft der Beziehungen zwischen den USA und Kuba waren Thema einer Veranstaltung des GIGA German Institute of Global and Area Studies in Hamburg, die im Februar 2018 unter dem Titel „Cuba: The Legacy of Raul Castro and the Future of Carribean Socialismen“ stattgefunden hat. Es sprachen Ted Piccone, Senior Fellow der Brookings Institution und acht Jahre lang Senior Foreign Policy Advisor der Clinton-Administration, und Bert Hoffmann, Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin und Leiter des GIGA Büros in Berlin, die Moderation übernahm Heike Holbig, Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Senior Research Fellow am GIGA.
Die Beziehungen zwischen den USA und Kuba sind seit Jahrzehnten durch das US-Embargo charakterisiert, das dem jeweiligen US-Präsidenten nur wenig Spielraum lässt – wobei Versuche der Annäherung keinesfalls zwangsläufig in Kuba auf allgemeines Wohlwollen stoßen. Dennoch haben Barack Obama und Raúl Castro versucht, miteinander ins Gespräch zu kommen und das Leben der Menschen zu erleichtern, sei es durch die Ermöglichung gegenseitiger Verwandtenbesuche, sei es durch die Reisen US-amerikanischer Touristen auf die Tropeninsel als gerne gesehene Devisenbringer.
Die kubanische Revolution ist wirtschaftlich am Ende
Einen kursorischen Überblick über den Zustand Kubas zwölf Jahre, nachdem sich Revolutionsführer Fidel Castro aus der aktiven Politik verabschiedet hatte, vermittelte zum Auftakt der Veranstaltung zunächst Bert Hoffmann – und skizzierte damit ein Land, das von der Trump-Administration zwar wieder der sogenannten Achse des Bösen zugerechnet wird, tatsächlich aber kaum in der Lage sein dürfte, die USA zu bedrohen. Seine Schilderungen der desolaten wirtschaftlichen Lage Kubas legen vielmehr den Schluss nahe, dass die kubanische Revolution in ihrer Endphase angekommen ist. Als ein dafür erstes sichtbares Zeichen sei das Ende der „charismatischen Herrschaft“ zu dem Zeitpunkt zu sehen, als Fidel Castro die Macht an seinen Bruder Raúl weitergegeben habe. Dessen Lieblingsbegriff sei „Effizienz“, so Hoffmann. Diese Linie werde bei dem anstehenden Generationenwechsel voraussichtlich fortgesetzt: Im April 2018 solle ein neuer Staatsrat und Miguel Díaz-Canel1 zum Nachfolger von Präsident Raúl Castro gewählt werden, dem der Ruf eines Technokraten vorauseile. Die Macht aber werde im Politbüro konzentriert bleiben.
Dass Kuba vor einschneidenden Reformen steht, ergibt sich nach den Schilderungen Hoffmanns zwangsläufig aus der gegenwärtig äußerst desolaten wirtschaftlichen Lage. Die bislang erlaubten Privatisierungen2 hätten vor allem kleinere Unternehmen wie Restaurants oder Bed & Breakfest-Pensionen entstehen lassen, kein „China in Kuba“ – wobei für Privatunternehmer keine Rechtssicherheit besteht, wie eine Gesetzesänderung im August 2017 zeigt, mit der die privatwirtschaftlichen Aktivitäten teilweise wieder eingeschränkt wurden.3 Die Regierung fürchte, so Piccone, die Kontrolle über die Privatwirtschaft zu verlieren. Bemerkenswert sei aber, dass das Militär in größeren Maßstäben unternehmerisch tätig geworden sei.
Durch private Unternehmenstätigkeit, vor allem aber durch die 2004 erfolgte Einführung einer zweiten Währung4 , die kompatibel sei, sei zu beobachten, so Hoffmann, dass sich die soziale Ungleichheit vergrößere: Staatsbedienstete wie Ärzte oder Lehrer würden weiterhin nur in „weichen“ Pesos bezahlt, wer privat wirtschafte oder Zuwendungen von Familienangehörigen erhalte, die ins Ausland gegangen seien, verfüge über die „harte“ Währung. Nicht wenige Staatsangestellte strebten also danach, in die Privatwirtschaft zu wechseln, mit bereits sichtbaren gravierenden Folgen: Schon fehlten Ärzte, viele Schüler*innen würden inzwischen von nur kurz ausgebildeten Notlehrern oder gar durch Videokassetten unterrichtet.
Der Staat kann nicht nur nicht mit den Verdienstmöglichkeiten in der Privatwirtschaft mithalten, er ist auch durch die drastische Reduzierung der Erdölimporte aus Venezuela an den Rand seiner Leistungsfähigkeit geraten, wie Piccone schildert. In der Zeit der engen Beziehungen von Fidel Castro und Hugo Chávez, die wie ein revolutionärer Vater mit seinem revolutionären Sohn aufgetreten seien, erhielt Kuba bis zu 11.000 Barrel Öl am Tag – auch und vor allem für den lukrativen Weiterverkauf5. Venezuela wurde dafür nicht in Devisen, sondern mit der Arbeitskraft kubanischer Ärzte bezahlt. Chavez-Nachfolger Nicolás Maduro beendete diese Subventionierung fast völlig, inzwischen ist Venezuela nicht einmal mehr der wichtigste Handelspartner Kubas.6 Eine Zeitlang hätten aber auch Investitionen aus Brasilien unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die kubanische Revolution am Leben erhalten, berichtet Piccone, ebenso aus Russland, während China zunächst mit subventionierten Lieferungen und günstigen Krediten ausgeholfen habe, nun allerdings auf deren Rückzahlung beharre. Kuba stehe jetzt vor der Aufgabe, sich in die globale Finanzwelt (durch eine Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds) zu integrieren, um neue Kredite zu erhalten, und seine Wirtschaft nachhaltig zu diversifizieren, um die Abhängigkeit von schwankenden Rohstoffpreisen zu verringern. Eine stabilere wirtschaftliche Lage sei schon deshalb geboten, weil derzeit 80 Prozent der Nahrungsmittel importiert werden müssten.7
Als eine positive Entwicklung hob Hoffmann die Reform des Reiserechts8 hervor: Es gebe keine Beschränkungen bei der Ausreise mehr, Auslandsreisen seien für die Kubaner*innen nunmehr eine Frage des eigenen Budgets und eines Einreisevisums. Aber nicht nur durch das Reisen komme es zu Außenkontakten, die dem Einfluss des Staates – etwa über die regulierten Medien – entzogen seien: Ungeklärt sei, ob und wie ein Sozialismus im Zeitalter des Internets funktioniere. Über Hotspots hätten die Kubaner*innen bereits einen ersten freien Zugang zum World Wide Web.9
Das elastische Embargo
Ted Piccone ließ in seinem Vortrag keinen Zweifel daran, dass sich die USA mit einem Festhalten an dem Embargo gegen Kuba in ihren Handlungsmöglichkeiten selbst beschneiden und die Möglichkeit verschenken, Einfluss zu nehmen – womit Spielraum für andere Länder entstehe, auch für Europa. Das Embargo verglich er mit einem Gummiband, das etwas elastisch sei und damit dem jeweiligen US-Präsidenten einen kleinen Spielraum lasse – aufheben könne es aber nur der Kongress. Bei Antritt der Obama-Administration habe eine Roadmap aus der Regierungszeit Bill Clintons vorgelegen mit dem Ziel, die Beziehungen zu Kuba zu verbessern, um den Wandel dort begleiten zu können, aber auch um die eigene Isolation in dieser Frage zu beenden: Tatsache sei, dass die USA mit ihrer strikten Haltung gegenüber Kuba nicht dieses in Lateinamerika und auch international ausgegrenzt habe, sondern sich selbst. Kuba dagegen habe im Laufe der Jahrzehnte viel Solidarität erfahren, auch weil es soziale und wirtschaftliche Rechte seiner Bürger verwirklicht habe – andere aber, wie freie Wahlen und freie Meinungsäußerung, nicht. Die Situation sei daher komplex, zumal sich Kuba vor den Vereinten Nationen immer überzeugend selbst vertreten habe. Für die Gegenwart sei allerdings festzustellen, dass die Romantisierung der Revolution ausgestorben sei.
Hoffmann ergänzte, dass sich die konfrontative Haltung der USA auf das kubanische Regime zudem stabilisierend ausgewirkt habe. Mit Blick auf die Gesellschaft allerdings sei die Wirkung ambivalent: stabilisierend durch Zusammenhalt von Gesellschaft und Regime, destabilisierend durch die Flucht vieler Kubaner.
Vor diesem Hintergrund lasse sich nachvollziehen, dass in Kuba eine Annäherung nicht zwangsläufig von der gesamten Führung begrüßt werde. Raúl Castro habe davon gesprochen, so Piccone, dass es eigentlich zwei Parteien gebe: die Fidelistas, also die Hardliner, und die Raúlistias (Reformer). Entsprechend sei dieser selbst für die von Barack Obama angekündigte Normalisierung der Beziehungen ansprechbar gewesen – ohne damit seine Prinzipien infrage zu stellen.10 Die USA lockerten dann die Reisebestimmungen11 und die Möglichkeiten, Geld zu überweisen. 2016 besuchte Obama als erster US-Präsident seit 88 Jahren die Insel, auch um über Demokratie und Menschenrechte zu sprechen.12
Die pragmatische Herangehensweise Obamas gegenüber Kuba ist in der Republikanischen Partei durchweg auf scharfe Kritik gestoßen, diese halten nach wie vor an ihrer Forderung nach einem Regime Change als Voraussetzung für die Normalisierung der Beziehungen fest. Entsprechend habe Donald Trump im November 2016 angekündigt, berichtete Piccone, die von Obama angestoßene Normalisierung wieder rückgängig zu machen. Seitdem habe es einen halben Rückschritt gegeben, Reisen und Überweisungen13 seien aber weiterhin erlaubt – die kubanischen US-Bürger, die die Republikaner unterstützten, wollten zwar einen Sturz des Regimes, aber eben doch bis dahin ihre Verwandten auf der Insel unterstützen. Die neuerliche Zuordnung Kubas zur „Achse des Bösen“ durch die Trump-Administration sei eine starke Überwertung der Gefährlichkeit des Regimes und vor allem der US-amerikanischen Innenpolitik geschuldet: Florida sei ein Swing State und daher werde alles unternommen, um die US-Bürger mit kubanischen Wurzeln als Wähler an die Republikaner zu binden.
Einen deutlichen Rückschlag hätten die Beziehungen vor allem erlitten, seitdem Angehörige der US-Botschaft in Havanna im September 2017 über gesundheitliche Beschwerden zu klagen begonnen haben. Deren Ursache sei nach wie vor ungeklärt.14 Die USA hätten inzwischen eine Reisewarnung ausgesprochen, Leidtragende seien nun ausgerechnet jene kleinen privaten Unternehmer in Kuba, die gerade mit dem Blick auf einen Systemwandel unterstützt werden müssten.
Insgesamt sei aus der Sicht der USA infolge der jahrzehntelangen Blockadepolitik, der expliziten Forderung nach dem Sturz des Regimes und der nun neuerlichen Verschlechterung der Beziehungen unter Trump ein nachhaltiges, problematisches Dilemma entstanden, stellte Piccone abschließend fest: Die kubanischen Reformanhänger wollen mit den USA nichts zu tun haben. Vielleicht aber mit Europa.
1Siehe „Raúl Castro tritt als Staatschef Kubas ab“, Neue Zürcher Zeitung, 21. Dezember 2017
2Siehe „Kuba erlaubt Privatwirtschaft in 178 Bereichen“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. September 2010
3Marcel Kunzmann: „Kuba ordnet Privatwirtschaft neu“, amerika21, 7. August 2017
4Siehe „Währungsreform soll dieses Jahr beginnen“, Cuba Heute, 22. Februar 2018
5Klaus Ehringfeld: „Venezuela dreht Kuba den Ölhahn zu“, Frankfurter Rundschau, 9. April 2015
6Marcel Kunzmann: „China löst Venezuela als Kubas wichtigster Handelspartner ab“, amerika21, 1. September 2017
7Evita Schmieg: „Kuba hält am Sozialismus fest“, Stiftung Wissenschaft und Politik, kurz gesagt, 16. Juni 2017
8Siehe „Sie fliehen nicht, sie reisen“, die tageszeitung, 29. Oktober 2013
9Siehe „Ab 2018 mobiles Internet auf Kuba“, heise online, 30. Dezember 2017
10Raúl Castro: „Keines unserer Prinzipien aufgeben. Ansprache des kubanischen Präsidenten zur Normalisierung der Beziehungen mit den USA“, übersetzt von Klaus E. Lehmann, america21, 18. Dezember 2014: https://amerika21.de/dokument/110018/rede-raul-castro-usa
11Siehe „US-Amerikaner lieben Havannas Oldtimer“, ntv, 12. Januar 2017
12Siehe „Das Ende des Embargos wird kommen“, Zeit Online, 21. März 2016
13Siehe zu diesem Thema auch „Kubaner überweisen jedes Jahr rund 59 Millionen US-Dollar ins Ausland“, Cuba Heute, 7. April 2017
14Siehe Jakob Simmank: „Die Seuche, die niemand erklären kann“, Zeit Online, 17. Februar 2018, außerdem Ian Sample: „Fresh row over mysterious sickness affecting US diplomats in Cuba”, The Guardian, 24. Februar 2018