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Ulfrid Neumann / Cornelius Prittwitz / Paulo Abrão / Lauro Joppert Swensson Jr. / Marcelo D. Torelly (Hrsg.)

Transitional Justice. Das Problem gerechter strafrechtlicher Vergangenheitsbewältigung

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2013 (Frankfurter kriminalwissenschaftliche Studien 143); 287 S.; 54,95 €; ISBN 978-3-631-62647-4
Wie wichtig ist das Strafrecht als Instrument einer gelingenden Unrechtsaufarbeitung und Transition? Brasilianische und deutsche Rechtsexpertinnen und ‑experten nähern sich dieser Frage von verschiedenen Seiten an. Der Sammelband entstand im Rahmen der Konferenz „Transitional Justice – vergleichende Einblicke in Transitionsprozesse aus Brasilien und Deutschland“ im Juli 2012 in Frankfurt am Main. In Paulo Abrãos Eröffnungsvortrag werden die zentralen Probleme einer umfassenden Vergangenheitsbewältigung bereits deutlich. In Brasilien existieren noch mehr als drei Jahrzehnte nach der Verabschiedung des Amnestiegesetzes verschiedene Wahrnehmungen über die Bedeutung des Begriffes Amnestie. Von Anhängern des Militärregimes als „Straflosigkeit und Vergessen“ verstanden, wurde er von der Zivilgesellschaft als „Freiheit und Reparation“ gesehen; diese Auffassung hat sich zu einem Verständnis als „Wahrheit und Gerechtigkeit“ weiterentwickelt. In diesem Kontext ist auch die Aufgabe der Wahrheitskommission zu sehen respektive ihre Zusammenarbeit mit der Strafverfolgung und dem staatlichen Gerichtswesen: „Der oberste Gerichtshof selbst verweigerte das Recht auf judizialen Schutz der Opfer [der Militärdiktatur], indem er die strafrechtlichen Ermittlungen der Taten verhinderte, die unter das Amnestiegesetz fielen. Jedoch erkannte er das Recht der Gesellschaft auf die Wahrheit an.“ (29) Antonio Martins erörtert demgegenüber, ob Strafrecht als Instrument der Politik – vor allem im Zusammenhang mit politischen Systemwechseln – überhaupt angewendet werden kann. Dass er damit eventuell eine öffentliche Diskussion über die Defizite oder generell die Legitimität des Strafrechts anstößt, begrüßt er ausdrücklich. Martins betont, dass politische Verantwortung und der Grad der Schuld im Strafrecht nicht deckungsgleich sind, dies aber nicht bedeute, dass es im Rahmen von Prozessen der Vergangenheitsbewältigung keine Anwendung finden solle: „Missachtet man das demokratische Legitimationsmoment des Strafrechts, so verwandelt sich eine wissenschaftliche – heroische – Argumentationslinie in eine zynische rechtspolitische Manipulation.“ (213) Trotz der offensichtlich rechtswissenschaftlichen Ausrichtung des Bandes ist die Verbindung von Rechts‑ und politischem Diskurs durchgängig nachvollziehbar und anregend.
Simone Winkens (SWI)
M. A., Politikwissenschaftlerin, Online-Redakteurin.
Rubrizierung: 2.21 | 2.23 | 2.65 | 2.35 | 2.323 | 4.42 Empfohlene Zitierweise: Simone Winkens, Rezension zu: Ulfrid Neumann / Cornelius Prittwitz / Paulo Abrão / Lauro Joppert Swensson Jr. / Marcelo D. Torelly (Hrsg.): Transitional Justice. Frankfurt a. M. u. a.: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36907-transitional-justice_45017, veröffentlicht am 27.03.2014. Buch-Nr.: 45017 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken