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Walter Leisner

Tradition und Verfassungsrecht zwischen Fortschrittshemmung und Überzeugungskraft. Vergangenheit als Zukunft?

Berlin: Duncker & Humblot 2013 (Schriften zum Öffentlichen Recht 1234); 148 S.; 38,90 €; ISBN 978-3-428-14070-1
„Gerade das Grundgesetz steht in etwas wie einer ‚Tradition von Traditionsbrüchen’, welche sich in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts immer von neuem vollzogen haben.“ (138) Diese Einschätzung, die Leisner im Fazit seiner stark rechtswissenschaftlich ausgerichteten Arbeit formuliert, verweist gleichsam auf den Kern seines Erkenntnisinteresses: Inwiefern kommen gerade im Staats‑ beziehungsweise Verfassungsrecht traditionelle – also historisch gewachsene und perpetuierte – Rechtsprechungsmaterien zum Tragen und was bedeutet die Traditionsgebundenheit der Verfassung für ihre Weiterentwicklung? Einem simplen Antagonismus, wonach die Tradition dem – von Leisner postulierten, angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Terrorismusabwehr und der Geheimdiensttätigkeit jedoch sehr fragwürdigen – Fortschritt in Form „immer größerer, vollerer Freiheit“ (6) im Wege stehe, möchte er dabei nicht das Wort reden. Stattdessen betont er, dass Tradition und Fortschritt immer miteinander verwoben gedacht werden müssten, allzumal verfassungsrechtliche Neuerungen, die in der repräsentativen Demokratie immer der Begründung gegenüber dem Souverän bedürfen, auf einen Bestand an Gewesenem aufbauen müssen, um Legitimität und Geltungsmacht zu entfalten. „Die – politisch wirksame, allerdings oft offen demagogische – Gegenüberstellung von Traditionalismus und Fortschrittsfreude ist im Verfassungsrecht“, so Leisners Konklusion, „nichts als eine terrible simplification“ (140). Schön, dass das mal jemand geklärt hat, kann man da nur sagen. Politisch‑programmatisch spannend wird es dann unerwartet aber doch noch mal, und zwar im Ausblick. Leisner beklagt hier wortreich den schleichenden Autoritätsverlust in einem bundesrepublikanischen „Gleichheitsstaat“ (142), bedingt etwa durch verlorene Kriege nach 1945 (!) und zeichnet das Schreckensszenario einer anarchistisch‑amorphen „Weltstaatlichkeit“ (144), die dann mit dem Kommunismus gleichzusetzen sei – zumindest für Skeptiker. In seinen eigenen Worten: terrible simplification.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.32 | 5.41 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Walter Leisner: Tradition und Verfassungsrecht zwischen Fortschrittshemmung und Überzeugungskraft. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36201-tradition-und-verfassungsrecht-zwischen-fortschrittshemmung-und-ueberzeugungskraft_44170, veröffentlicht am 19.09.2013. Buch-Nr.: 44170 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken