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Stefanie Mayer

"Totes Unrecht"? Die "Beneš-Dekrete" – eine geschichtspolitische Debatte in Österreich

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2009 (Politische Kulturforschung 2); 159 S.; brosch., 34,- €; ISBN 978-3-631-58270-1
Politikwiss. Diplomarbeit Wien; Gutachterin: S. Rosenberger. – Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung um die Beneš-Dekrete in Österreich im Vorfeld des Beitritts der Tschechischen Republik zur EU. Am Beispiel der Tageszeitung „Der Standard“ wird die Debatte diskursanalytisch rekonstruiert. Mayer arbeitet zum einen heraus, wie die Beneš-Dekrete in diesem Diskussionsprozess konstruiert und welche Bedeutungen dem Begriff zugeschrieben wurden. Zum anderen werden die dabei entstandenen und weiterverbreiteten politischen und moralischen Wertungen analysiert. Detailliert erläutert die Autorin, dass die Beneš-Dekrete eine starke symbolische Bedeutung erhielten, die deutlich über den eigentlichen Inhalt der Erlasse hinausging. Sieht man von den von Forschern publizierten Artikeln ab, so spielten aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse im Gegensatz zu den Argumentationslinien aus völkisch motivierten Diskursen lange keine größere Rolle. Hier liegt die Stärke der Arbeit, wird doch nachgezeichnet, dass die Argumentationsmuster der Vertriebenenverbünde häufig unreflektiert übernommen wurden und deren Interessen und politische Positionen Eingang in den politischen Mainstream erhalten haben. Als entscheidendes Korrektiv zur Problematisierung dieses Diskurses und zur Versachlichung der Debatte wirkte offenbar die EU. Während die realpolitischen Effekte des Diskurses insgesamt minimal seien, so die Autorin weiter, könne die Bedeutung für die Geschichtspolitik in Österreich nur schwer abgeschätzt werden. Der selbstkritische Blick auf Vergangenheit und nationale Vergangenheitspolitik werde zum einen von revisionistischen und NS-apologetischen Positionen, zum anderen von der Position der Opferthese, welche Österreich als erstes Opfer NS-Deutschlands begreife, herausgefordert. Obwohl diese inhaltlich nicht übereinstimmten, könnten sie über den Topos der „‚eigenen‘ [...] Opfer“ (151) – Hitlers, des Kriegs und dann der Alliierten bzw. der Tschechen – diskursiv verbunden werden. Die analysierte Debatte sieht Mayer trotz unterschiedlicher realpolitischer Vorschläge der Parteien als ein Beispiel für eine solche Allianz an.
Jan Schedler (JS)
Diplom-Sozialwissenschaftler, wiss. Mitarbeiter, Fakultät für Sozialwissenschaft, Ruhr-Universität Bochum.
Rubrizierung: 2.4 | 2.22 | 2.263 | 2.23 | 2.61 | 2.312 | 4.1 Empfohlene Zitierweise: Jan Schedler, Rezension zu: Stefanie Mayer: "Totes Unrecht"? Frankfurt a. M. u. a.: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/31680-totes-unrecht_37748, veröffentlicht am 10.02.2010. Buch-Nr.: 37748 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken