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Siegfried Kracauer

Totalitäre Propaganda. Hrsg. von Bernd Stiegler

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2013 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2083); 338 S.; pb., 18,- €; ISBN 978-3-518-29683-7
Innerhalb der nationalsozialistischen und faschistischen Propaganda entdeckte der Schriftsteller, Filmtheoretiker und Soziologe Siegfried Kracauer den nihilistischen „Anspruch auf absolute Macht“ von totalitären Ideologien. Abseits der Werkausgabe liegt nun erstmals die vollständige Materialsammlung des nur handschriftlich überlieferten Textes zur totalitären Propaganda vor, an dem Kracauer von 1936 bis zum Jahreswechsel 1937/38 im Pariser Exil arbeitete. Der frühere Feuilletonchef der Frankfurter Zeitung und Autor einer Biografie des Komponisten Jacques Offenbach entdeckt den ideologisch begründeten Machtwillen einer Propagandamaschinerie, die eine spezifische Ästhetik zur „Veränderung der psycho‑physischen Struktur der Menschen“ (40) entwickelte. Mit seinem Graben nach den Krisenphänomenen einer von Zerfall bedrohten Nation, dem Spiegelverhältnis von Propaganda und Terror sowie dem ideologischen Heilsversprechen ähnelt Kracauers Analyse den späteren Totalitarismustheorien. Die editorische Leistung des Herausgebers Bernd Stiegler liegt in der Materialdokumentation, auch wenn er diese nicht kommentiert. Vorstudien, Notizen und das eine Veröffentlichung im Rahmen des emigrierten Instituts für Sozialforschung ablehnende Gutachten seines Freundes Theodor W. Adorno sind aufgenommen. Adorno vermisste das theoretische und empirische Rüstzeug des „wissenschaftlichen Schriftstellers“ (262) Kracauer. Beinahe naiv und unverbindlich reihe dieser den Stoff aneinander, reflektiere sozialpsychologische und marxistische Ansätze bei der Beschreibung des Nationalsozialismus zu wenig. Adornos den ursprünglichen Gehalt beinahe entstellende und ebenfalls in den Band aufgenommene Kurzfassung der Studie wurde von Kracauer abgelehnt. In diesem Sinne lassen sich am Material auch die wissenschaftlichen und menschlichen Spuren der Emigration entdecken, deren werkgeschichtliche Kontextualisierung vom Herausgeber sorgfältig vorgenommen wird. Kracauers beinahe verschollene und eigenwillige Studie zur totalitären Propaganda verdient gerade in ihrem Changieren Beachtung.
Ellen Thümmler (ET)
Dr., Politikwissenschaftlerin, wiss. Mitarbeiterin, Institut für Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.46 | 5.42 | 2.312 Empfohlene Zitierweise: Ellen Thümmler, Rezension zu: Siegfried Kracauer: Totalitäre Propaganda. Frankfurt a. M.: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36831-totalitaere-propaganda_45051, veröffentlicht am 06.03.2014. Buch-Nr.: 45051 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken