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Yanis Varoufakis

Time for Change. Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre. Aus dem Griechischen von Birgit Hildebrand

Berlin: Hanser 2015; 179 S.; brosch., 17,90 €; ISBN 978-3-446-44524-6
Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, der im Zuge eines Kurswechsels seiner Partei als Zugeständnis an die Vertreter der Europäischen Union abgesetzt wurde, stellt mehrere Narrative über die wichtigsten Mechanismen zusammen, die zur gegenwärtigen Finanzkrise geführt haben. Varoufakis, der sich selbst als erratic marxist bezeichnet, also als abirrenden, nicht stringenten, schlingernden Marxisten, oder, wenn man so will, als Marxisten aus Versehen, beginnt seine Erklärung mit einer Beschwörung der einfachen Warenzirkulation. Das wachsende Ungleichgewicht der Weltwirtschaft wird sodann zurückgeführt auf das moralisch fragwürdige Auseinanderfallen von Tauschwert und Gebrauchswert, den man bei Varoufakis, vergeblich auf einen Lapsus bei der Übersetzung hoffend, unter dem Namen „Lebenswert“ (33) findet. Der Autor grenzt eine ursprüngliche, hauswirtschaftliche „oiko‑nomia“ von einer „agora‑nomia“ (38) ab, einer marktvermittelten Wirtschaft. Der Umschlag von der „Gesellschaft mit Märkten“ zur „Marktgesellschaft“ (40) sei ungefähr auf das 16. Jahrhundert zu datieren und durch die Kommodifizierung der drei Produktionsfaktoren Arbeit, Maschinen und Land charakterisiert. Entscheidend für die Entwicklung des Kapitalismus seien aber Zins und Kredit: Nicht die Warenförmigkeit der Produktionsfaktoren allein, sondern die 180‑Grad‑Wende der Akkumulation, die sich von einer Abfolge von Produktion – Verteilung – Schulden verwandelt zu „Schulden – Verteilung – Produktion“ (58). Durch Gleichschaltung der Produktion im Sinne der Kapitalisten entstehe nach der Auflösung der feudalen Verhältnisse und Schatzreserven ein Investitionsengpass, der nur durch neue Geldschöpfung ausgeglichen werden könne. Diese Schöpfung sei wesentlich ein Spiel auf Zeit, das heißt eine Wette auf die Zukunft, ein Kredit aus der Zukunft. Diese Kommunikation mit der Zukunft – und nicht etwa der Kreditfluss zwischen gegenwärtigen, realen Akteuren – ist für Varoufakis die eigentliche Aufgabe und Daseinsberechtigung der Banken, die deswegen auch „diachrone Vermittler“ (66) genannt werden. Leider arbeiteten diese Vermittler aber nicht nach bestem Wissen und Gewissen, sondern nur auf kurzfristigen Gewinn hin. Die einzige Möglichkeit zur Besserung bestehe deswegen darin, die Banken unter eine gesellschaftliche, radikaldemokratische Kontrolle zu stellen. Überlegungen dazu, wer diese Aufgabe stemmen könnte, und darüber, warum dieser Ansatz in der aktuellen Krise fundamental gescheitert ist, finden sich nicht. Varoufakis illustriert seine Überlegungen im zweiten Teil des Buches mit kulturellen Referenzen, mit verschiedenen Versionen der Geschichte des Doktor Faustus und Filmen wie Blade Runner, wobei zumindest in seiner raumgreifenden Interpretation der Matrix‑Trilogie handfeste inhaltliche Fehler enthalten sind.
{FG}
Rubrizierung: 2.22 | 5.45 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Yanis Varoufakis: Time for Change. Berlin: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39009-time-for-change_47611, veröffentlicht am 22.10.2015. Buch-Nr.: 47611 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken