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Stefan Becker / Michael W. Bauer / Alfredo De Feo (Hrsg.): The New Politics of the European Union Budget

15.06.2018
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Autorenprofil
Dr. Max Lüggert
Baden-Baden, Nomos 2017 (Studies on the European Union 12)

Neue Regeln für das EU-Budget
Der Haushalt als Instrument der europäischen Integration

Die Ausgestaltung ihres Budgets hat für die Europäische Union grundsätzliche Bedeutung. Gemessen an ihrer gesamten Wirtschaftsleistung ist dieses zwar deutlich kleiner als es die Haushalte der Nationalstaaten sind, diese tragen jedoch mit ihren Zahlungen maßgeblich dazu bei. Daher überrascht es nicht, dass dieses Thema immer wieder zu harten Debatten zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten führt. So wurde in jüngster Zeit sowohl eine Vergrößerung des EU-Budgets vorgeschlagen, beispielsweise vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron, gleichzeitig finden sich jedoch auch entgegenstehende Forderungen nach dessen Beibehaltung oder gar Verkleinerung, vorgetragen zum Beispiel vom österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Besondere Brisanz hat die Debatte erhalten, da einer der größten Beitragszahler – Großbritannien – in weniger als einem Jahr voraussichtlich die EU verlassen wird, außerdem läuft der mehrjährige Finanzrahmen (MFR) in zwei Jahren aus, sodass Neuverhandlungen anstehen. Stefan Becker, Michael W. Bauer und Alfredo De Feo werfen mit ihrem Sammelband zum Thema europäischer Haushalt also ein wichtiges Schlaglicht auf dieses oft übersehene, aber hochaktuelle Thema.

Mitherausgeber De Feo zeigt in seinem Beitrag, welche Rolle Budgetfragen für die Entwicklung der europäischen Integration gespielt haben. Deutlich wird, dass wichtige Wegmarken der Entwicklung immer auch einen Bezug zum Haushalt der Union hatten: Zu Beginn der europäischen Integration wurde ein Großteil der gemeinsamen Mittel für Agrarsubventionen verwendet, worauf gerade Frankreich vehement bestand, mit entsprechenden Konflikten mit den anderen Mitgliedstaaten. In den folgenden Jahrzehnten, insbesondere in den 1980er-Jahren, wurden Budgetfragen immer häufiger Gegenstand tiefer institutioneller Konflikte. Der Ministerrat und das Europäische Parlament waren beide mit der Verabschiedung des Haushalts beauftragt, konnten sich in dieser Zeit jedoch oft nur unter großen Mühen einigen. Daher wurden mehrere Budgets nur verspätet verabschiedet, und der Haushalt für das Jahr 1986 wurde sogar vom Europäischen Gerichtshof annulliert – freilich jedoch ohne in seinem Urteil eine klare Auslegung der institutionellen Lage zu liefern.

Haushaltsfragen wirkten jedoch nicht immer als Hemmschuh, sondern stimulierten teilweise auch wichtige Entwicklungen. Erwähnt wird das Instrument der Kohäsionspolitik, das seit der Süderweiterung um Griechenland, Portugal und Spanien nun als mehrjähriger Posten fest im Haushalt verankert und mittlerweile ein unverzichtbarer Bestandteil des politischen und wirtschaftlichen Wirkens der EU ist.

Wie auch für die Union insgesamt, war die Verabschiedung des Vertrags von Lissabon eine Zeitenwende für das Verfahren der Haushaltsfindung, das nun auf eine grundlegend neue Basis gestellt worden ist. Der erste MFR, der nach den Regeln des Lissabon-Vertrags für die Jahre 2014 bis 2020 beschlossen wurde, wird im Beitrag von Anna Vitrey behandelt, die als Direktorin für Haushaltsangelegenheiten beim Europäischen Parlament eine enorme praktische Expertise zu diesem Thema mitbringt. Zunächst schildert Vitrey, dass durch den Lissabon-Vertrag die rechtliche Verbindlichkeit des MFR und des Haushalts gestärkt worden ist. Der MFR wird somit nicht mehr als Absichtserklärung zwischen den einzelnen Unionsorganen aufgestellt, sondern ist eine Verordnung, die unmittelbar in allen Unionsstaaten gilt und ordentlich von Ministerrat und Parlament verabschiedet wird. Die konkreten Verhandlungen für den MFR 2014-2020 werden dann ausführlich dargestellt, inklusive des Ergebnisses, dass der letztliche Umfang geringer ausfiel als in den Vorschlägen von Parlament und Kommission vorgesehen. Vor diesem Hintergrund argumentiert Vitrey am Schluss ihres Artikels, dass die weiterhin starke Rolle der Mitgliedstaaten im MFR-Verfahren inklusive der Vorgabe von Einstimmigkeit eine Entwicklung hin zu einer Vergrößerung des gemeinsamen Haushalts deutlich erschwert. Daher gehören ihrer Ansicht nach die Vorgabe der Einstimmigkeit sowie die weiterhin hohe finanzielle Abhängigkeit der EU von ihren Mitgliedstaaten (das Budget ergibt sich zu rund drei Vierteln aus deren Beiträgen) auf den Prüfstand.

Auch weitere Themen werden im Band mit der gebotenen Sorgfalt behandelt. So betrachten die Mitherausgeber Bauer und Becker ausführlich die Rolle des Europäischen Parlaments bei der Haushaltslegung und zeigen, dass es in diesem Bereich in den vergangenen Jahren zu einer relativen Beschränkung der Befugnisse des Parlaments gekommen ist – ganz im Gegensatz zum Trend seiner allgemeinen Stärkung in den vergangenen Jahrzehnten. Gabriele Cipriani widmet sich dem Aspekt der Rechenschaft und Transparenz, der in der EU immer eine zumindest unterschwellige Rolle spielt. Und schließlich gehen Uwe Wagschal und Georg Wenzelburger darauf ein, wie sich die durch die Eurokrise wichtig gewordene Aufgabe der Haushaltskonsolidierung für die EU selbst darstellt.

Insgesamt ist der Band eine weit gefasste Sammlung von Artikeln über den europäischen Haushalt. Eine enge Klammer, welche die einzelnen Artikel bindet und sie auf einen gemeinsamen Fokus ausrichtet, fehlt, was angesichts des vielseitigen Themas aber kein Problem darstellt. Die technische Natur des Gegenstandes findet sich jedoch auch in den Artikeln wider; die Autorinnen und Autoren bedienen sich vieler Fachbegriffe und setzen somit ein durchaus profundes Vorwissen bei den Leserinnen und Lesern voraus, für Laien ist dieses Buch sicher nicht geschrieben worden. Unabhängig davon liefert es jedoch einen soliden Beitrag dazu, die Finanzen innerhalb der EU besser nachvollziehen zu können – ein Thema, das unabhängig von allen anderen politischen Entwicklungen immer wieder zu Relevanz gelangt, spätestens wenn ein mehrjähriger Finanzrahmen neu verhandelt werden muss.

 

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Rezension

Die Zukunft der Eurozone. Wie wir den Euro retten und Europa zusammenhalten

Alexander Schellinger und Philipp Steinberg legen einen Sammelband vor, in dem die Resultate eines Studienprojektes der Friedrich-Ebert-Stiftung zur weiteren Entwicklung der Eurozone zusammengefasst sind. Die Herausgeber verstehen die Eurokrise nicht nur als wirtschaftliche, sondern auch als politische und soziale Krise, weshalb eine alleinige Milderung der volkswirtschaftlichen Krisensymptome nicht zu einer Stabilisierung der EU führen werde. Sie betonen, dass die EU auch eine soziale Dimension annehmen müsse. Die Autor*innen zeigen auf, wie eine Reform der EU gelingen könnte.

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Essay

Ein Ausweg aus der Sackgasse. Mit einem zweistufigen Währungsverbund die Finanzkrise lösen

Die Eurokrise sei die Folge der strukturellen Divergenz zwischen den exportorientierten Hartwährungsländern im „Norden“ und den von der Binnennachfrage abhängigen Weichwährungsländern im „Süden“, schreibt Fritz W. Scharpf. Das nach der Krise eingeführte neue Euro-Regime benachteilige die Süd-Länder und fordere von ihnen Opfer, während es die Nord-Länder privilegiere. Einen Ausweg sieht der Autor in einem flexiblen, zweistufigen europäischen Währungsverbund, der die politische Zukunft der EU sicherer machen würde als sie es heute ist.

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Literatur

Linn Selle (2018)
Wie können Parlamente bei künftigen EU-Haushaltsverhandlungen gestärkt werden? Ein Diskussionsbeitrag
in: integration 1/2018, Baden-Baden.

Angesichts der Tatsache, dass sowohl das Europäische Parlament als auch der Deutsche Bundestag bei den Haushaltsverhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 formell beteiligt sind, nimmt die Autorin beide parlamentarischen Ebenen in den Blick. Zwar divergierten die Positionen im Europäischen Parlament und im Bundestag im Hinblick auf die institutionellen Prioritäten des Haushalts. Es sei aber deutlich geworden, dass parteipolitisch ähnliche Vorstellungen überwogen, welchen Prioritäten der Haushalt dienen sollte. Linn Selle präsentiert Vorschläge, inwiefern Parlamente auf nationaler und europäischer Ebene gestärkt werden können, um die parlamentarische Haushaltshoheit auszuüben.


zum Thema
Die Krise der Europäischen Union

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