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Andreas Rödder

21.0. Eine kurze Geschichte der Gegenwart

München: C. H. Beck 2015; 494 S.; geb., 24,95 €; ISBN 978-3-406-68246-9
Die „Geschichte der Gegenwart“ zu schreiben, scheint auf den ersten Blick ein paradoxes Unterfangen zu sein. Gerade der Zunft der Historiker wird nicht selten zugeschrieben, vor dem noch nicht Abgeschlossenen, dem noch undeutlich Erkennbaren und dem aus schriftlichen Quellen nicht befriedigend Rekonstruierbaren eher zurückzuschrecken. Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Mainz, nimmt diese Herausforderung beherzt an, bezeichnet sie aber selbst als „Abenteuer“ (11). In acht längeren Abschnitten beschreibt und analysiert er, wie das gesellschaftliche Heute wurde, was es ist. Sein Blick richtet sich dabei auf die Politik ebenso wie auf grundlegende gesellschaftliche, ökonomische und kulturelle Trends. Es macht Freude, das Buch zu lesen, weil sich Rödder nicht hinter sozialwissenschaftlichen Theoriegebäuden verschanzt, sondern Mut zum Urteil besitzt. Die Themenpalette ist dabei denkbar weit, sie reicht von der Digitalisierung und Globalisierung sowie der Energiepolitik über den sozialstrukturellen Wandel und die Entwicklung der Staatlichkeit bis zur europäischen Integration und der veränderten Weltpolitik. Rödder bürstet manche scheinbare Gewissheit unseres Alltagswissens gegen den Strich. Zudem zeichnet er mit großer Umsicht die verästelten Linien der Geschichte seit den 1980er‑Jahren in ihrer wechselseitigen Bedingung nach. Dass es dabei in einzelnen Kapiteln, etwa zur ökonomischen Verflechtung, auch mal etwas atemlos gerät, fällt kaum ins Gewicht. Insgesamt bietet Rödder eine Interpretation für das Bild der Gegenwart. Nicht jedem Argument wird man folgen, aber die Urteilsfähigkeit des Autors ist bemerkenswert. Als Politikwissenschaftler fragt man sich allerdings zugleich, warum ein solcher Wurf nicht aus dem eigenen Fach vorgelegt worden ist. Wirkt sich die mancherorts beklagte „Geschichtsvergessenheit“ der Politikwissenschaft jetzt schon so aus, dass bereits die 1980er‑ und 1990er‑Jahre als Domäne der Geschichtswissenschaft gelten müssen?
{WK}
Rubrizierung: 2.32.3312.3412.23.1 Empfohlene Zitierweise: Wilhelm Knelangen, Rezension zu: Andreas Rödder: 21.0. München: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40179-210_47850, veröffentlicht am 08.12.2016. Buch-Nr.: 47850 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken