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Georg Kreis (Hrsg.)

Städtische versus ländliche Schweiz? Siedlungsstrukturen und ihre politischen Determinanten

Zürich: Neue Zürcher Zeitung 2015 (NZZ Libro); 210 S.; brosch., 24,- €; ISBN 978-3-03810-017-1
Wie lebt es sich im „Storf“ (79), dieser typisch schweizerischen Mischung aus Stadt und Land? Wo stehen die Bewohner_innen politisch, wie stimmen sie in Referenden ab? Mit seinen Agglomerationsgemeinden sieht sich die Schweiz einer ganz eigenen Entwicklung ausgesetzt, die eher wenig mit dem Anwachsen der ‚Speckgürtel‘ deutscher Großstädte zu tun hat. Der Historiker Georg Kreis ordnet diese spezifische „Ausuferung der Städte“ (15) einer neuen Urbanität zu und erkundet die Agglomerationen als „Zwischending“ (29), mit dem sich Gewissheiten über politische Haltungen, getrennt nach Stadt und Land, auflösen und neue Fragen stellen. Diesem Phänomen gehen die Autor_innen aus den Blickwinkeln verschiedener Disziplinen nach, durchaus mit der guten Absicht, dieses Zwischending ob seiner zersiedelten Strukturen nicht per se negativ zu betrachten. Der Politikwissenschaftler Wolf Linder lotet als Hintergrund der Fragen, die nach politischen Einstellungen und Abstimmungsverhalten neu zu stellen sind, den Stadt‑Land‑Konflikt im historischen Längsschnitt aus. Er erläutert, dass sich bei der EWR‑Abstimmung 1992 noch klare Linien zeigten: die Städter_innen waren „deutlich mehr für die Beteiligung […] zu haben als die Landbevölkerung, der die Verteidigung einer ‚unabhängigen und neutralen Schweiz‘ wichtiger war als die Teilnahme am europäischen Markt“ (72). Der Politikwissenschaftler Claude Longchamp sieht die Agglomerationen, das Storf, entlang empirischer Belege politisch schwankend „zwischen typisch städtisch respektive typisch ländlich“ – vor allem aber mittlerweile als einen „zentralen Ort der nationalen Mehrheitsbildung“ (96). Paul Schneeberger, Historiker und Journalist, vertieft die Debatte, ob die Bewohner_innen städtisch oder ländlich denken. Von zentraler Bedeutung ist seine Feststellung, dass sich „der Wandel, dem die Schweiz unterworfen ist, auf die Agglomerationen konzentriert“ (109). Die Politikberaterinnen Katja Gentinetta und Heike Scholten sehen das Land sich präsentieren als „eine globalisierte, urbanisierte und auch pluralisierte Schweiz, deren Selbstbild jedoch auch stark von ländlicher Tradition geprägt und massgeblich von drei Faktoren beeinflusst ist: einer gehegten Alpenidylle, einem ausgeprägten Autonomiebewusstsein und dem Wissen um den eigenen Erfolg“ (128). Diese sorgsam zusammengestellten Beiträge werden abgerundet durch wirtschaftsgeografische, städteplanerische und kommunalpolitische Überlegungen sowie einen fiktiven Dialog, in dem der Architekt Jacques Herzog die „Agglo“ (162) ihre verlorene Identität beklagen lässt – mit dem ersten bedenklichen Ergebnis, so sein Nachtrag, dass die Stimmabgabe in den Agglomerationen entscheidend dafür war, dass sich 2014 die Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ durchsetzen konnte.
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Rubrizierung: 2.52.212.22 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Georg Kreis (Hrsg.): Städtische versus ländliche Schweiz? Zürich: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39147-staedtische-versus-laendliche-schweiz_47276, veröffentlicht am 03.12.2015. Buch-Nr.: 47276 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken