Sozialstaats-Dämmerung
Der Jurist und Politikberater Jürgen Borchert widmet sich den Problemen des Wohlfahrtstaates – Sozialleistungen wie Rentenversicherung oder Kindergeld verdienten seiner Ansicht nach diese Bezeichnung allerdings nicht. Borchert sieht es aus zweierlei Gründen für notwendig an, in die Diskussion um die Zukunft des Sozialstaats einzugreifen. Zum einen klärten Medien und Öffentlichkeit nicht darüber auf, dass „Familien in Deutschland entgegen der politisch gepflegten Optik nicht nur nicht reichlich beschenkt, sondern im Gegenteil durch das Steuer‑ und Sozialsystem regelrecht ausgebeutet werden“ (10) und insgesamt „eine Umverteilung von unten nach oben, von Jung zu Alt und von Familien zu Kinderlosen“ (226) zu beobachten sei. Zum anderen sei bei politischen Parteien, insbesondere der SPD, keine Einsicht erkennbar, bisherige Fehler zu korrigieren. In kurzen Kapiteln schildert der Autor anhand von Beispielen, wie die Umverteilung vonstattengeht und inwieweit die politische Praxis gegen die Grundgedanken der Solidarsysteme und die Prinzipien der Sozialstaatlichkeit verstößt. Mitverantwortlich dafür sei die Dominanz privater Wirtschaftsinteressen in der Politik, die gleichzeitig ein „Outsourcing der Gesetzgebung“ (191) betreibe. Gegen diese Tendenzen empfiehlt Borchert den politischen Akteuren, sich an Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu orientieren: „Von der Politik wird deshalb nur verlangt, das zu tun, was sie ohnehin zu tun verpflichtet ist: nämlich verfassungskonforme Zustände herzustellen und die ihr längst erteilten Verfassungsaufträge umzusetzen“ (242). Das meinungsfreudige Buch unterstützt damit eine mittlerweile auch in anderen Kontexten verbreitete Forderung, wonach politische Entscheidungen wesentlich durch Gerichte in eine Richtung interpretiert und durch die Legislative (lediglich) ausgestaltet werden sollten.