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Matthias Sachs

Sozialdemokratie im Wandel. Programmatische Neustrukturierungen im europäischen Vergleich

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011 (Globale Gesellschaft und internationale Beziehungen); 381 S.; 39,95 €; ISBN 978-3-531-17890-5
Diss. Köln; Gutachter: T. Jäger. – Die Angst, sich programmatisch von der Realität entkoppelt zu haben, ist so alt wie die Sozialdemokratie selbst. Schon das Erfurter Programm (1891) ist zerrissen zwischen orthodoxem Marxismus und pragmatischem Reformismus. Was für die wilhelminische Ära und die damaligen sozialdemokratischen Führungsfiguren wie Karl Kautsky und Eduard Bernstein galt, gilt noch heute – nur unter den Vorzeichnen einer sich global entgrenzenden Marktwirtschaft. Sachs untersucht mit Blick auf die zurückliegenden 25 Jahre, wie sich programmatische Erneuerungs- und Anpassungsstrategien innerhalb der Sozialdemokratie entwickelt und zu welchen Ergebnissen sie geführt haben. Dafür vergleicht er Neuorientierungen in Deutschland (SPD), den Niederlanden (PvdA) und England (LP), wie sie angesichts einer globalisierten Wirtschaft, eines zunehmend ambivalenter werdenden technischen Fortschritts, einer immer drängender werdenden Umweltzerstörung, einer Diversifizierung von Lebensentwürfen sowie neuer Diskurs- und Partizipationsformen erfolgt sind. Der Befund ist relativ ernüchternd. Während die drei analysierten Parteien sich in ihrer Gegenwartsdiagnose auf die genannten Punkte durchaus zu einigen vermögen, erweist sich die daraus abgeleitete programmatische Reaktion in weiten Teilen als unterschiedlich. Man habe sich, so Sachs, „um eine kreative Neujustierung der sozialdemokratischen Modelle bemüht“ (359), allein ein gangbarer Dritter Weg sei dabei nicht herausgekommen. Spätestens an dieser Stelle beschleicht den Leser die Vermutung, dass eine analytische Fixierung auf Dritte Wege anhand seit Jahrzehnten festgefügter Selbstinszenierungen vielleicht nicht zielführend sein könnte. In seiner Einleitung hatte Sachs bei der Analyse der sozialdemokratischen Theorietradition zu Recht auf die starken liberalen Wurzeln der Sozialdemokratie, wie sie etwa bei Bernstein, Blum und Jaurès nachweisbar sind, hingewiesen. Ein Nachdenken in Richtung des liberal socialism, wie Monique Canto-Sperber und Nadia Urbinati das vor Jahren einmal genannt haben, könnte produktiver sein als die immer gleiche, verzweifelte Suche nach dem Dritten Weg.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.22 | 2.331 | 2.61 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Matthias Sachs: Sozialdemokratie im Wandel. Wiesbaden: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33576-sozialdemokratie-im-wandel_40183, veröffentlicht am 13.04.2011. Buch-Nr.: 40183 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken