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Ariane Sadjed

"Shopping for Freedom" in der Islamischen Republik. Widerstand und Konformismus im Konsumverhalten der iranischen Mittelschicht

Bielefeld: transcript Verlag 2012 (Kultur und soziale Praxis); 226 S. ; kart., 28,80 €; ISBN 978-3-8376-1982-9
Diss. HU Berlin; Begutachtung: C. von Braun, G. Dietze. – Ist Shopping politisch und wenn ja, bis zu welchem Grad? In einer Zeit, in der aus westlicher Perspektive in jeder Ausdehnung von Märkten ganz grundsätzlich ein die Demokratie unterminierendes Potenzial gesehen wird, untersucht Ariane Sadjed die Frage, inwieweit eine Liberalisierung von Märkten gleichzeitig eine Demokratisierung von überhaupt nicht demokratischen Regimen befördern kann. Mit anderen Worten: Wird ein politisches System demokratischer, wenn die Bürger mehr und länger einkaufen gehen können? Plausibel wird diese Fragestellung, wenn man sich auf die von Sadjed vorgestellte Annahme einlässt, dass gerade im Iran wegen seiner historischen Gratwanderung zwischen West und Ost Konsum mehr sein müsse als ein bloßes individuelles Sozialverhalten, nämlich auch eine permanente Identifikation mit einem westlichen Lebensstil. Die Operationalisierung dieser spannenden Fragestellung gelingt der Autorin über eine diskurstheoretische und postkolonialistisch inspirierte qualitative Auswertung von Text- und Bildmaterialien, wobei die Textmaterialien neben Zeitschriftenbeiträgen auch von ihr selbst vor Ort erhobene Interviews mit einschließen. So gelingt es, ein differenziertes Bild der sozioökonomischen Bedingungen der iranischen Mittelschicht zu zeichnen, deren Leben sich zwischen Staat, Religion und Konsum abspielt. Dabei zeigt sich, dass die gemeinsame Referenz verschiedener sozialer Gruppen auf den Westen als Positiv- oder Negativbild in der iranischen Mittelschicht zwar gegeben ist, die binäre Unterscheidung zwischen Regimegegnern und -befürwortern aber nicht verfängt. Stattdessen, so argumentiert Sadjed, haben sich – von der westlichen Medienberichterstattung weitgehend unbeachtet – gerade im Umfeld der Präsidentschaftswahlen von 2009 Stimmen zu Wort gemeldet, die anstelle einer kompletten Säkularisierung oder einer vielleicht noch radikaleren Fundamentalisierung Reformen am bestehenden System forderten. Dieser Befund passt ebenso wenig in die weit verbreiteten Schwarz-Weiß-Schemata über die iranische Gesellschaft wie die Schlussfolgerung, dass die beständige Balance der iranischen Gesellschaft zwischen westlichem Konsummodell und islamischer Religiosität diese so weit destabilisiert hat, dass demokratische und damit freiheitlichere Strukturen erst recht nicht zum Durchbruch gelangen.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.632.232.22.22 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Ariane Sadjed : "Shopping for Freedom" in der Islamischen Republik. Bielefeld: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35598-shopping-for-freedom-in-der-islamischen-republik_42956, veröffentlicht am 10.01.2013. Buch-Nr.: 42956 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken