Skip to main content
Jeremy Scahill

Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen. Aus dem Englischen von Gabriele Gockel, Bernhard Jendricke, Sonja Schuhmacher und Maria Zybak, Kollektiv Druck-Reif

München: Verlag Antje Kunstmann 2013; 719 S.; 29,95 €; ISBN 978-3-88897-868-5
Die Vordenker der globalen „Kill or Capture“‑Politik sind schnell ausgemacht: Schon in ihren ersten Ämtern in den 1970er‑ und 1980er‑Jahren in den republikanischen Administrationen waren Dick Cheney und Donald Rumsfeld Befürworter eines unbedingten Durchsetzens nationaler Interessen. Als Vizepräsident beziehungsweise Verteidigungsminister ab 2001 hatten sie nicht nur ihren Ansatz geschärft, sondern 9/11 gab ihnen den Anlass, die Entwicklung zu forcieren. Ihre Hauptakteure im Feld waren General McChrystall und Admiral McRaven, die nacheinander als Befehlshaber des Joint Special Operations Command (JSOC) die Effizienz und Effektivität der Operationen verbesserten, sei es in den Einsätzen in Irak und Afghanistan, sei es in den verdeckten Operationen zum Beispiel am Horn von Afrika. Die Konzeption des weltweit erlaubten und als notwendig deklarierten Zugriffs auf tatsächliche oder vermeintliche Terroristen ist dabei gar nicht der eigentliche Zweck, sondern Ausdruck eines unilateralen Verständnisses von internationaler Politik, das sich auf die überall gerechtfertigte Durchsetzung nationaler Interessen verengte. Unterstützt und realisiert wurde dies durch einen militärischen Apparat, dem Cheney und Rumsfeld aus dem juristischen Korsett halfen. Da die CIA von ihnen als eher hinderlich wahrgenommen wurde, erhielt das JSOC Freiheiten an der Grenze des Völkerrechts. Man kann Jeremy Scahills Bericht als einen Frontalangriff auf die neokonservative Weltsicht interpretieren, die sich der Militärmacht brutal bedient, um eigene Interessen durchzusetzen, die man für nationale Interessen hält. Tatsächlich findet sich in Scahills Bericht keine dezidierte Ablehnung militärischer Zugriffe. Er kritisiert vielmehr sehr deutlich die Umsetzung, also wie militärische Operationen geplant und durch Kommandoeinheiten mitunter menschenverachtend realisiert werden. Seine Kernthese lautet: Die meisten Terroristen hat der War on Terror durch die Art und Weise, wie er geführt wurde, selbst generiert. Belege hierfür muss der Autor nicht mühsam suchen: Wenn er etwa die Ereignisfolge in Somalia aufzeigt und kenntlich machen kann, ab wann und durch welche Entscheidung auf Seiten der USA sich die Lage kritisch entwickelte, ist nicht zu übersehen, dass die Terrorgruppierung Al Shabaab davon zynischerweise profitiert hat. Nach Scahills Ansicht haben Spezialkräfte im Irak wesentlich zur Eskalation der Gewalt nach 2003 beigetragen; eine ähnliche Entwicklung zeigte sich in Afghanistan. Mag man auch vermuten, dass Scahill bei seinen investigativen Recherchen die eine oder andere Fehlinformation und ‑perzeption untergeschoben wurde – es ist bemerkenswert, wie viele Quellen aus dem nachrichtendienstlichen Milieu, das durch die Spezialeinheiten ins Abseits zu geraten drohte, sich dem Journalisten anboten, um die schiere Übermacht des JSOC zu unterstreichen. Seine These, detailreich und eloquent präsentiert, hat dennoch ihren Charme.
Axel Gablik (AG)
Dr., Historiker.
Rubrizierung: 4.22 | 4.41 | 2.63 | 2.64 | 2.67 | 2.68 Empfohlene Zitierweise: Axel Gablik, Rezension zu: Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. München: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36848-schmutzige-kriege_45087, veröffentlicht am 13.03.2014. Buch-Nr.: 45087 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken