Das Jahr 1989 ist nicht nur für die Deutschen ein geschichtlicher Wendepunkt. Auch die Sowjetunion befand sich vor 20 Jahren in einer historischen Ausnahmesituation – die Wirtschaftskrise hatte ihren Höhepunkt erreicht und die Autonomiebewegungen im Baltikum, in Moldawien, im Kaukasus und in Zentralasien forderten eigene Nationalstaaten. Hinzu kam, dass seit Januar 1989 ein Wahlkampf stattfand, im März wurde der Kongress der Volksdeputierten gewählt. Erstmals nach Jahrzehnten gab es wieder – wenn auch eingeschränkt – einen politischen Wettbewerb, der Parlamentarismus wurde wiederbelebt. Die vom Volk gewählten Volksdeputierten bestimmten dann aus ihrer Mitte als Staatsführung den Obersten Sowjet und den Präsidenten Michail Gorbatschow. Die Debatten des Volksdeputiertenkongresses hielten im Sommer 1989 die Sowjetbürger in Atem, weil plötzlich alle Probleme öffentlich ausgesprochen wurden. In dieser Zeit rückte auch der spätere russische Präsident Boris Jelzin immer mehr ins Rampenlicht. Der Historiker Altrichter, der im Herbst 1989 die Ereignisse in Moskau persönlich miterlebte, beschreibt diese Veränderungen des Jahres 1989, indem er die Parlamentsprotokolle und die sowjetische Medienberichterstattung sorgfältig auswertet. Es zeigt sich, dass sich das Ende der Sowjetunion zwei Jahre später bereits abzeichnete. Den Untergang des sowjetischen Imperiums erläutert der Autor sehr ausführlich, mit allen innenpolitischen und außenpolitischen Faktoren. Was dem Buch jedoch ein wenig fehlt, ist eine klare Einschätzung der Leistung sowie der Fehlleistung des Politikers Gorbatschow. In Deutschland ist er heute ein respektierter Mann, weil er die Wiedervereinigung Deutschlands zuließ. In Russland ist Gorbatschow ein Politiker, dem heute wenig Respekt gezeigt wird. Die meisten Russen sehen ihn als schwachen Staatsmann, der damals viele Fehler gemacht hat.