Rote Denkfabrik? Die Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED
Eigentlich hatte Mertens eine Analyse des „Innovationspotentials von Ideen als Deutungssystem und Denkstile“ (23) im Sinn. Mangels Masse (und ohne Bedauern) endete seine Beschäftigung mit der Akademie der Gesellschaftswissenschaften als institutionengeschichtliche Darstellung. Er belegt, dass in diesem Bereich (im Gegensatz zu den ideologiefreien Nischen, die die Naturwissenschaften boten) „eine vorurteilsfreie, uneingeschränkt offene Forschung schlichtweg nicht möglich“ (28) war. Das Politbüro unter Honecker, dem die Akademie zuarbeiten sollte, habe sich als konsequent beratungsresistent erwiesen. Befunde über fortdauernde soziale Unterschiede oder über die gesundheitlichen Nachteile der Arbeit im Mehrschichtensystem (denen ein Exkurs gewidmet ist) wurden nicht als Probleme zur Kenntnis genommen, weil sie nicht sein durften. Die Mitarbeiter der Akademie, an deren wissenschaftlichen Fertigkeiten wohl mitunter durchaus zu zweifeln war und deren Arbeiten oft der strikten Geheimhaltung unterlagen, konnten sich zudem nicht einmal sicher sein, ob ihre Studien überhaupt gelesen wurden. Auch das SED-SPD-Papier, an dem Akademiemitglieder beteiligt waren, verhalf ihnen keineswegs zu mehr Einfluss. Mertens beschäftigt sich über diesen mageren Output der Akademie und ihrer Funktion als Kaderschmiede der SED hinaus auch mit den Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter. Trotz einiger Privilegien (relativ guter Verdienst, leichterer Zugang zu einer Wohnung) muss eine deutliche Frustation über die ideologiebefrachtete und meist folgelose Arbeit geherrscht haben – der Autor stellt einen hohen Krankenstand fest, begründet vor allem mit psychischen Problemen. Da viele Akademiemitglieder im Herbst 1989 die Pensionsgrenze (fast) erreicht hatten, konnten sie nach Auflösung ihrer Institution in den (Vor)ruhestand wechseln.