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Mathias Heigl

Rom in Aufruhr. Soziale Bewegungen im Italien der 1970er Jahre

Bielefeld: transcript Verlag 2015 (Histoire); 539 S.; 49,99 €; ISBN 978-3-8376-2895-1
Geschichtswiss. Diss. LMU München; Begutachtung: M. Baumeister. – In Italien lag zwischen dem emanzipatorischen Aufbruch der 68er und den ‚bleiernen‘, vom Links‑ wie Rechtsterrorismus geprägten Zeit gegen Ende der 1970er‑Jahre eine kurze Phase, die nach Ansicht von Mathias Heigl einer genaueren Betrachtung wert ist – formierten sich damals doch soziale Bewegungen, die „als Ausdruck konkreter sozialer Konflikte im urbanen Raum“ (21) Aufschluss über „die großen gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und ökonomischen Entwicklungstendenzen“ (23) geben. Hinzuzufügen wäre, dass es sich dabei um ein durchaus aktuelles Thema handelt, blickt man auf gegenwärtige Bewegungen etwa unter dem Aufruf „Recht auf Stadt“ oder zuvor die Occupy‑Bewegung. Die Darstellung des sozialen Aufbegehrens im Italien der 1970er‑Jahre, die Heigl mit vier detaillierten Fallstudien über „die ‚Verräumlichung‘ der sozialen Konfliktualität“ (24) vorlegt, gibt zudem Hinweise darauf, welche Faktoren die Gefahr des Scheiterns in sich tragen. Bei diesen Beispielen handelt es sich erstens um ein Stadtteilkomitee in einem römischen Neubauviertel, das versuchte, die Politik zur Beseitigung von Missständen zu veranlassen, die durch Spekulation verursacht waren. Die zweite Studie ist einem Zyklus von Hausbesetzungen im Jahr 1974 gewidmet, zentral waren die Forderungen nach Zugang zu bezahlbaren Wohnungen sowie die Festsetzung eines politischen, an der Bedürftigkeit orientierten Mietpreises. Drittens wird die „Bewegung von 1977“ vorgestellt, die mit Campusbesetzungen und Straßenschlachten, bei denen Demonstrant_innen getötet wurden, der Kulminationspunkt einer hochgradigen sozialen Frustration junger Menschen war, die sich strukturell benachteiligt sahen. In der vierten Fallstudie beschreibt Heigl die Einrichtung einer selbstorganisierten Abtreibungsabteilung in einer Klinik als Nothilfe, da das damals neue Abtreibungsgesetz kaum Anwendung fand. Der mikrohistorische Ansatz, den Heigl dabei verfolgt, hat erkennbare Vor‑ und Nachteile: Zwar tritt das Geschehen unmittelbar an die Leser_innen heran. Aber die Beschränkung auf Quellen der Aktivist_innen lässt auch die Perspektive beschränkt bleiben, es fehlt die Einbettung in den spezifischen gesellschaftlichen und politischen Kontext Italiens. So werden auch nicht die Spannungen zwischen der traditionellen Linken, hier vor allem der Kommunistischen Partei Italiens, und der Neuen Linken, die sich basisdemokratisch organisierte, gesondert herausgearbeitet. Genau in dieser Organisationsform liegt das Scheitern dieser sozialen Bewegungen begründet, wie Heigl aufzeigen kann: Mit dem Verzicht auf gewählte Vertreter_innen, also auf Repräsentation, fehlte auch die Stimme, die gehört werden konnte.
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Rubrizierung: 2.612.222.2632.27 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Mathias Heigl: Rom in Aufruhr. Bielefeld: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38899-rom-in-aufruhr_47116, veröffentlicht am 24.09.2015. Buch-Nr.: 47116 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken