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Sopiko Zviadadze

Religion und Politik in Georgien. Die Beziehungen von Staat und Kirche und die Säkularisierungsproblematik im postkommunistischen Georgien

Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2014 (Politica 100); 216 S.; 88,80 €; ISBN 978-3-8300-7656-8
Diss. Münster. – Als Eduard Schewardnadse 1992 zum Staatsratsvorsitzenden des ein Jahr zuvor unabhängig gewordenen Georgiens ernannt wurde, verabschiedete er sich von seiner kommunistischen Vergangenheit mit einer Taufe. Aus einem religiösen Ritual sei in diesem Moment auch ein politischer Akt worden, schreibt Sopiko Zviadadze. Das Beispiel dient ihr zur Illustration des Bedeutungszuwachses, den die griechisch‑orthodoxe Kirche nach dem Ende der Sowjetunion im öffentlichen Leben Georgiens ihrer Erkenntnis nach erlangt hat. Politiker demonstrierten vor Wahlen ihre Frömmigkeit, religiöse Amtsträger schalteten sich in innenpolitische Debatten ein und überhaupt genieße die griechisch‑orthodoxe Kirche von allen Institutionen in der Bevölkerung das höchste Ansehen. Die im Verlauf der Studie wiederholt vorgetragene These, in Georgien herrsche vor diesem Hintergrund „eine eigenständige Einstellung zur Moderne“ vor, sodass eine „Säkularisierung unter Einbezug der Religion“ (13) stattfinde, wird allerdings nicht in einem Vergleich – etwa zu Polen – bearbeitet, sondern bleibt als Behauptung stehen. Auch wird konstatiert, dass die Religion im Alltag „eine große Bedeutung“ habe, nicht aber näher problematisiert, dass „nur 11,5 % der Befragten einmal in der Woche am Gottesdienst teil[nehmen]. Dies entspricht Werten in der postindustriellen Gesellschaft.“ (39 f.) Als theoretischer Ausgangspunkt soll das Konzept der Öffentlichen Religion nach José Casanova dienen, wobei es im Verlauf nur die Argumentation unterfüttert, der Ansatz wird aber nicht weiterentwickelt. Am umfangreichsten fällt die Untersuchung der Beziehung von Staat und Kirche aus. Zviadadze stellt Geschichte und rechtliche Stellung der Kirche sowie deren Rolle bei der Konstituierung des Staates im Überblick vor. Das Kapitel über das Verhältnis von politischen Parteien und Kirche ist eher knapp gehalten, aufschlussreicher ist dann der Abschnitt, in dem die Zivilgesellschaft im Mittelpunkt steht. Hier fallen Aspekte auf, die den Einfluss der Kirche – die die Fernsehsendung „Zehn große Georgier“ zu Fall brachte, weil sie keine Heiligen in einer Reihe mit Normalsterblichen sehen wollte – und der Religion – die Autorin erwähnt fundamentalistische Gewalttaten – in einem zweifelhaften Licht erscheinen lassen. Und auch angesichts der Tatsache, dass sich Staat und Kirche nach Schilderung der Autorin noch 2011 über die Anerkennung der Religionsfreiheit und den rechtlichen Status von Religionsgemeinschaften stritten, ist ihr Schlusswort von der „Säkularisierung mit der Vitalität der Religion“ (187) verwirrend und wenig an wissenschaftlichen Untersuchungskriterien orientiert.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.63 | 2.23 | 2.2 | 2.22 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Sopiko Zviadadze: Religion und Politik in Georgien. Hamburg: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37557-religion-und-politik-in-georgien_45984, veröffentlicht am 18.09.2014. Buch-Nr.: 45984 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken