Skip to main content
Kristina Kaiserová / Eduard Nižňanský / Martin Schulze Wessel (Hrsg.)

Religion und Nation: Tschechen, Deutsche und Slowaken im 20. Jahrhundert

Essen: Klartext 2015 (Veröffentlichungen der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission 20 / Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa 46); 191 S.; 29,95 €; ISBN 978-3-8375-1286-1
In der Herausbildung der nationalstaatlichen Idee und der Nationalbewegungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert spielte die Religion mitunter eine entscheidende Rolle. Die Identifizierung der Nation mit einer bestimmten Konfession führte einerseits häufig zur Ausgrenzung Andersgläubiger. Andererseits „sind Religion und Nationalismus in verschiedener Hinsicht als konkurrierende Kräfte aufzufassen“ (9), etwa mit Blick auf übernationale Organisationsformen der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Hinsichtlich Tschechiens und der Slowakei wird eine spezifische Konstellation deutlich: „Nationalisten mussten unter den Angehörigen ihrer Nation, die sich in verschiedene Konfessionen gliederte, für die Überwindung des konfessionellen Standpunkts im Sinne der nationalen Integration werben“ (14), wobei sich gerade die jüdische Bevölkerung in einer Gemengelage konkurrierender Nationalismen noch einmal in einer besonderen Situation befand. Neben einer Einführung des Mitherausgebers Schulze Wessel vereint der Band acht Fallstudien deutscher, slowakischer und tschechischer Historiker_innen zu diesem Themenkomplex. Er macht dabei auch bisher nur in englischer, slowakischer und tschechischer Sprache vorliegende Forschungsergebnisse einem deutschsprachigen Publikum zugänglich. Roman Holec zeigt auf, wie sich in der Slowakei katholische Geistliche mit unterschiedlichen nationalen Projekten identifizieren konnten: einerseits mit dem Kampf um die Wiederherstellung eines historischen Ungarns, andererseits als Verteidiger einer slowakischen Identität in der Auseinandersetzung mit einer tschechisch dominierten Politik nach der Gründung der Tschechoslowakei 1918. Mitherausgeber Nižňanský zeigt daran anknüpfend ausführlich, wie mit Jozef Tiso ein katholischer Geistlicher als Staatsoberhaupt auch aus religiösen Motiven heraus die Etablierung einer Diktatur mit vorantrieb und für antisemitische Politiken verantwortlich zeichnete. Jörg Osterloh betrachtet in diesem Zusammenhang die nationale Komponente jüdischer Identität. Mit der Gründung der Tschechoslowakei war die Möglichkeit gegeben, bei Volkszählungen eine jüdische Nationalität anzugeben. Dafür entschieden sich – unabhängig von ihrer Muttersprache – vor allem zionistisch orientierte Juden. Auch gab es regionale Unterschiede: Die mehrheitlichen orthodoxen Juden der östlichen Landesteile zeigten häufiger eine nationaljüdische Orientierung, im Westen optierte man häufiger für eine tschechische oder deutsche Identifikation. Vermeintliche eindeutige national‑religiöse Zuschreibungen zeigen so bei genauerem Hinsehen so manche Ambivalenzen.
{MUN}
Rubrizierung: 2.232.252.612.35 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Kristina Kaiserová / Eduard Nižňanský / Martin Schulze Wessel (Hrsg.): Religion und Nation: Tschechen, Deutsche und Slowaken im 20. Jahrhundert Essen: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38721-religion-und-nation-tschechen-deutsche-und-slowaken-im-20-jahrhundert_47163, veröffentlicht am 06.08.2015. Buch-Nr.: 47163 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken