Moderne, an westlichen Standards von Individualisierung und Pluralisierung orientierte Gesellschaften folgen zweifellos einem Säkularisierungstrend, der die Ausübung von Religion zur Privatsache erklärt. Zugleich jedoch sind Tendenzen einer Re-Aktualisierung von Religionen im Plural zu beobachten, die sich im Sinne von sehr unterschiedlich motivierten Gemeinschaftsbildungen als Abwehrreaktionen auf die Herausforderungen gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse verstehen lassen. Schließlich werden religiöse Semantiken identitätspolitisch vielfach dazu genutzt, Grenzen gegenüber gesellschaftlichen Minoritäten zu fixieren, die nicht zufällig anderen kulturellen Kontexten entstammen. Die Rolle von Religion in derartigen Entwicklungsprozessen hat sich die 2010 an der Universität Wien gegründete wissenschaftliche Forschungsplattform „Religion and Transformation in Contemporary European Society“ zum Thema gemacht. Der Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus sechs Fakultäten verfolgt das Ziel, eine interdisziplinäre Debatte durch Forschungsprojekte, Veranstaltungen und Publikationen zu initiieren. Den Auftakt für dieses Vorhaben bildete der 2011 in Wien durchgeführte Eröffnungskongress, auf den die Beiträge des Sammelbandes zurückgehen. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht sind vor allem die Vorträge von besonderem Interesse, die sich mit der Bedeutung von Religion für die Definition von Zugehörigkeiten befassen – das betrifft sowohl Phänomene sozialer Ausgrenzung (Ferdinand Sutterlüty; Sieglinde Rosenberger/Julia Permoser; Michael Minkenberg) wie rechtspolitische Regulierungen in multireligiösen Gesellschaften (Rik Torfs; Richard Potz/Brigitte Schinkele) – oder die religiös unterlegte Sinnkonstruktionen jenseits klassischer Institutionen untersuchen (Herman Westerink; Niels Hvidt).