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Walter Pauly (Hrsg.)

Rechts- und Staatsphilosophie des Relativismus. Pluralismus, Demokratie und Rechtsgeltung bei Gustav Radbruch

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2011 (Staatsverständnisse 38); 266 S.; 29,- €; ISBN 978-3-8329-4993-8
Politologen, die am Dialog zwischen Rechts- und Politikwissenschaft interessiert sind und mehr über das oft missverstandene Schlagwort vom „unrichtigen Recht“ erfahren wollen, sei die Lektüre des Bandes zu einem der wichtigsten Rechtsphilosophen des 20. Jahrhunderts dringend empfohlen. In seiner gelungenen Einführung zeigt Pauly, wie Radbruch aus dem Geist des südwestdeutschen Neukantianismus seinen wertrelativistischen Positivismus gewinnt, diesen seit den 30er-Jahren vertieft, um ihn schließlich in seinen späten Schriften scheinbar völlig aufzugeben. Mit der gern vorgenommenen Interpretation dieses Widerspruchs zwischen Früh- und Spätwerk als nachtotalitäres Erweckungserlebnis wird aber nicht nur übersehen, dass sich Radbruch bereits in seiner „Rechtsphilosophie“ (1932) deutlich von einer radikaleren Absage an das Naturrecht im Sinne einer Reinen Rechtslehre abgrenzt, sondern auch, dass er zwar seinen zunächst formalistisch gefassten Gerechtigkeitsbegriff zunehmend materialisierte, jedoch keineswegs einer Naturrechtsrenaissance das Wort redete (Renzikowski). Mit der Frage nach den rechtsphilosophischen Grundlagen (Wapler und Kirste) seiner nur vermeintlichen Revision rückt Radbruchs Interpretation vom Recht und Staat als Kulturtatsache in den Mittelpunkt. Dass die Relativierung des Relativismus bereits in den Weimarer Schriften durch die kulturelle Begründung von Staat und Recht angelegt ist, findet sich zwar in fast allen Beiträgen des Bandes wieder. Sie tritt jedoch in den Aufsätzen zu Radbruchs Parteienlehre (Otto), in seiner Hinterfragung von Rechtsordnungen auf den ihnen zugrunde liegenden Menschenbildern (Cziupka) oder in seiner keineswegs relativistischen Verteidigung der Weimarer Republik (Hildebrand) beziehungsweise der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (Wittreck) besonders hervor. Kritischer sind die Artikel von Henkel und Heiß, wobei ihrer Ansicht nach nicht im Relativismus, sondern gerade in der (sozialistischen) Kulturstaatstheorie die eigentliche Schwäche der Radbruch’schen Position liegt. Während Henkel die theoretische Dürftigkeit der Kulturtypologie beanstandet, ist die Kritik von Heiß mehr als bissig: Er sieht in Radbruch einen Parteigänger der deutschen Ideologie, deren Etatismus, Nationalismus, sozialistisch-völkisches Gemeinschaftsideal und letztlich Totalitarismus „mitursächlich für das Zustandekommen des Nationalsozialismus war.“ (170)
Frank Schale (FS)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.46 | 5.41 | 5.42 | 2.311 | 2.312 Empfohlene Zitierweise: Frank Schale, Rezension zu: Walter Pauly (Hrsg.): Rechts- und Staatsphilosophie des Relativismus. Baden-Baden: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34111-rechts--und-staatsphilosophie-des-relativismus_40913, veröffentlicht am 08.09.2011. Buch-Nr.: 40913 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken