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Corinne Michaela Flick (Hrsg.)

Rechnen mit dem Scheitern: Strategien in ungewissen Zeiten

Göttingen: Wallstein Verlag 2014 (Convoco! Edition); 172 S.; geb., 14,90 €; ISBN 978-3-8353-1445-0
Der Band beginnt mit einer wahrhaft profunden Einsicht: „Unsere Umwelt, die eine globale Dimension angenommen hat, ist ständigem Wandel unterworfen. Die heutige Herausforderung ist, mit der sich daraus ergebenden Unsicherheit umzugehen.“ (10) – Und schon drängt sich für Corinne Michaela Flick die (irgendwie typisch moderne, irgendwie zeitgemäße, weil in die neoliberale Selbstoptimierungsideologie eingepasste) Frage auf, wie es sich denn „gut“ scheitern lässt – schließlich stellt das Scheitern angesichts der Omnipräsenz von Unsicherheit eine kaum vermeidbare Option dar. Da sei es, so Flick in ihrer Eingangsthese, „unabdingbar, eine Strategie zu haben. [...] Strategien sind essenziell im Umgang mit dem Misslingen. Sie können eine Niederlage in einen Sieg verwandeln“ (11). Heißt im Klartext: Scheitern ist nach wie vor eben doch keine Option, zumindest keine, die gesellschaftlich anerkannt, geschweige denn verziehen würde. Ein weiteres Beispiel für die beliebig anpassungsfähige Leere neoliberaler Rationalität, in Sprache gegossen, liefert Jörg Rocholl, Präsident der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin: „Die Möglichkeit des Scheiterns muss real sein, denn sie entwickelt die stärksten Anreize für Individuen, Entscheidungen aus voller Verantwortung zu treffen.“ (13) Unabhängig von der sicherlich belanglosen Frage, wann denn die in der These enthaltene Bedingung gegeben ist, ist das hier transportierte Menschenbild interessant: der voll informierte und entscheidungsfähige homo oeconomicus, wie ihn Michel Foucault in seinen Vorlesungen zur Gouvernementalität der Gegenwart als neoliberale Herrschaftstechnik interpretiert hat. Politikwissenschaftlich relevant ist bei derlei analytischer Untiefe allerhöchstens eine Untersuchung darüber, inwiefern wissenschaftliche Qualität privater Business‑Schools, wie sie die ESMT ist, mit der Finanzierungsbereitschaft deutscher DAX‑Konzerne korreliert. Ansonsten muss man den Band nicht unbedingt gelesen haben, nicht nur wegen der neoliberalen Perspektive des Buches (die kann man ja unter Umständen auch mögen), sondern wegen der überholten Handlungstheorie, die den Band durchzieht. Auf dieser Basis lässt sich keine adäquate Gegenwartsdiagnose mehr aufbauen.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 1.32.25.423.53.62.634.22 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Corinne Michaela Flick (Hrsg.): Rechnen mit dem Scheitern: Strategien in ungewissen Zeiten Göttingen: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37231-rechnen-mit-dem-scheitern-strategien-in-ungewissen-zeiten_45605, veröffentlicht am 26.06.2014. Buch-Nr.: 45605 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken