Die Proteste gegen Präsident Wladimir Putin haben Russland nach Ansicht von Mischa Gabowitsch zu einen anderem Land gemacht. „Insgesamt markierte die Bewegung für faire Wahlen seit Dezember 2011 einen langfristigen Wandel in Russlands Protestkultur. Entgegen einem beliebten Vorurteil sind Russlands Einwohner keine apathischen Protestmuffel.“ (26) Die Massenproteste in den Jahren 2011 und 2012 seien nicht nur die größten der vergangenen zwanzig Jahre gewesen, sondern führten auch zur Verjüngung und geografischen Ausweitung der großstädtischen Protestkultur. Viele Bürger seien zum ersten Mal politisch aktiv geworden. Für sie seien die Demonstrationen „ein Moment des Kennenlernens, der Selbstfindung und der Subjektwerdung“ (23) gewesen. Auch die Form der Proteste habe sich verändert. „Symbolische Aktionen, die nicht direkt ergebnisorientiert sind, sondern Aufmerksamkeit für ein Problem erzeugen sollen, wurden beliebter. Eine immer noch kleine, aber wachsende Zahl von Bürgern entwickelte die Bereitschaft, die eigenen lebensweltlichen Anliegen in eine größere Öffentlichkeit hinauszutragen und gemeinsam mit anderen zu protestieren.“ (27) Dadurch „ist viel mehr in Bewegung gekommen – oder bewegt sich anders als zuvor: Menschen, Entscheidungsprozesse, politische Ansichten – aber auch Fahrzeuge, Institutionen und Symbole“ (30). Ob die Protestbewegung einen grundlegenden Wandel in der politischen Kultur Russland bewirken kann, vermag der Autor nicht eindeutig zu beantworten. Problematisch sei, dass identitätsbildende Institutionen unterhalb des Gesamtstaates nur schwach ausgeprägt seien. So weigerten sich die meisten Demonstranten auch, sich als Vertreter einer bestimmten Sozial‑ oder Berufsgruppe zu sehen. Wichtig sei es deshalb, dass Institutionen entstehen, die einen solchen Wertewandel tragen. Und so meint der Autor abschließend: „In der Aussicht auf einen solchen Wandel liegt das große Versprechen von Russlands neuer Protestkultur.“ (365)