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Horst Meier

Protestfreie Zonen? Variationen über Bürgerrechte und Politik

Berlin: BWV Berliner Wissenschafts-Verlag GmbH 2012; 332 S.; 39,- €; ISBN 978-3-8305-3032-9
Der Band ist der Versuch, über einen schmalen Grat zu balancieren – ohne dabei abzustürzen. Im Kern geht es in den versammelten Aufsätzen des Autors um die Frage, wie weit der von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gewährte Schutz des Einzelnen vor dem Staat gehen kann, gehen soll: Muss die Demokratie auch den Antidemokraten schützen, der sie bekämpft? Meiers Antwort fällt eindeutig aus – ja, die Demokratie muss das aushalten, sie muss den Extremisten der Rechten wie der Linken den Raum zur Artikulation ihrer auch noch so kruden Ideen zugestehen, weil das deren Recht ist – solange sie damit nicht die Rechte von Dritten tangieren. Und so eindeutig diese Lösung für das Problem auch sein mag – sie hinterlässt doch ein ungutes Gefühl. Dieses rührt wohl daher, dass Aushandlungsprozesse in einem demokratischen Rechtsstaat durch Gesetze und Verfassung zwar eingehegt sind. Jedoch werden sie, weil sie als von Menschen gemachte immer auch von diesen Menschen mit Leben gefüllt werden müssen und interpretationsbedürftig sind, in der Realität bis zu einem gewissen Grad immer kontingent sein und bleiben. Meiers Rechte-Extremismus kommt hier an seine diagnostischen Grenzen. Betrachtet man den von ihm kommentierten Fall der von Linksextremisten begangenen Brandstiftung in der Union Druckerei in Weimar vom 4. Dezember 1994, in der die „Junge Freiheit“ gedruckt wurde, dann werden diese Grenzen nur allzu offensichtlich. Seiner Beurteilung der Brandstifter als Verbrecher sowie seiner Kritik der autoritären Grundhaltung der Jungen Freiheit ist dabei voll und ganz zuzustimmen. Indes verweist die Brandstiftung als ein auch symbolisch ausdeutbarer Akt auf ein fundamentales Unverständnis der beteiligten Akteure. Wie mit diesem Unverständnis, das sich eben nicht mehr in demokratischen Prozessen hat kanalisieren lassen, von vornherein so hätte umgegangen werden können, dass es des Verbrechens gar nicht bedurft hätte, wäre die eigentlich spannende und herausfordernde Frage gewesen. Denn eine Demokratie, die bis zu einem solchen Grad nicht mehr kommunikationsfähig ist – und die dann zwar eine juristische, nicht aber eine demokratische Aufarbeitung der Nichtkommunikation liefert – scheint unvollständig zu sein. Das Kapitel, in dem der fragliche Beitrag abgedruckt ist, ist mit dem Luxemburg-Zitat überschrieben, wonach „Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden“ ist. Der geschilderte Fall legt jedoch die Vermutung nahe, dass es hier auf keiner Seite um Freiheit ging – höchstens noch um Befreiung vom Andersdenkenden, sei es mit Taten oder mit Worten. Das alles wären spannende Fragen gewesen, sie lagen jedoch wohl ein Stück weit abseits des schmalen Grats.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.23 | 2.25 | 2.35 | 2.37 | 4.1 | 4.41 | 5.41 | 5.44 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Horst Meier: Protestfreie Zonen? Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35287-protestfreie-zonen_42502, veröffentlicht am 20.09.2012. Buch-Nr.: 42502 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken