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Colin Crouch

Postdemokratie. Aus dem Englischen von Nikolaus Gramm

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2008 (edition suhrkamp 2540); 160 S.; 10,- €; ISBN 978-3-518-12540-3
Unter dem Einfluss von Industrieverbänden stehende Parteiapparate, Entscheidungsfindung hinter verschlossenen Türen und Schwächung der Parlamente – dies sind, so Crouch, zentrale Merkmale vieler westlicher politscher Systeme im 21. Jahrhundert. Nicht zuletzt der Diskurshoheit des Neoliberalismus sei es zu verdanken, dass sich Politiker aller Couleur der Rationalität des Standortwettbewerbs unterwürfen, die Breite des politisch zu Entscheidenden eingrenzten und somit die Möglichkeit demokratischer Selbstbestimmung reduzierten. Der politische Wettbewerb verkomme zu einer von Spindoktoren organisierten Inszenierung politischer Persönlichkeiten, die programmatische Unterschiede einebne und beim Elektorat zu Apathie führe. Crouch zufolge gleicht die Geschichte der Demokratie einer Glockenkurve, die, beginnend mit den Emanzipationsbewegungen des 19. Jahrhunderts, ihren Höhepunkt in den 50er-Jahren erreicht habe und sich nunmehr auf dem Abschwung befinde. Anderen „Post“-Phänomenen ähnelnd zeichne sich die Postdemokratie durch die Gleichzeitigkeit von Alt und Neu aus. Demnach existierten Errungenschaften wie etwa freie Wahlen oder Mehrheitsentscheidungen weiterhin, mit Leben gefüllt würden sie nicht mehr. Erfreulicherweise lehnt es Crouch ab, legitimatorische Standards umzuinterpretieren und intransparente Verhandlungsmechanismen oder Kompetenzverschiebungen zugunsten nichtstaatlicher Akteure zur Norm zu erheben. Jedoch wirkt die Darstellung der demokratischen Hochphase romantisierend und das implizite demokratietheoretische Ideal angesichts der Pluralität existierender Ansätze starr. Die beobachteten Phänomene wurden in der Literatur schon häufiger diskutiert; auch lässt sich dem Buch weder Theorienähe noch Systematik bei der Abhandlung des Untersuchungsgegenstandes unterstellen. Trotzdem ist dieser polemische Essay beispiellos erfrischend, motiviert er doch, derzeitige Transformationen von Demokratie und Governance kritischer zu analysieren, wenn nötig infrage zu stellen und die nur kursorisch skizzierten Vorschläge für einen Kurswechsel weiter zu entwickeln.
Oliver Fritsch (OF)
M. A., Politikwissenschaftler, wiss. Mitarbeiter, National Environmental Research Institute, Universität Aarhus/Dänemark.
Rubrizierung: 2.2 | 2.22 | 4.43 | 5.42 Empfohlene Zitierweise: Oliver Fritsch, Rezension zu: Colin Crouch: Postdemokratie. Frankfurt a. M.: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/29432-postdemokratie_34827, veröffentlicht am 07.11.2008. Buch-Nr.: 34827 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken