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Cas Mudde / Cristóbal Rovira Kaltwasser: Populismus: Eine sehr kurze Einführung

10.12.2019
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Autorenprofil
Prof. Dr. Rainer Lisowski
Bonn, Verlag J.H.W. Dietz Nachf. 2019

„Ich bin sehr irritiert. Habe ich Sie gerade richtig verstanden? Glauben Sie wirklich, dass Populismus etwas Schlechtes ist?“ Diese Frage wurde dem Rezensenten Anfang 2019 bei einem Vortrag über Populismus in Europa an der Rhodes University in Südafrika von einer jungen Ökonomie-Studentin gestellt. Aus ihrer Sicht war der linke Populismus eines Julius Malema, der vor einigen Jahren die Economic Freedom Fighters (EFF) gegründet hatte, ein Hoffnungsschimmer für die südafrikanische Demokratie, da er – so ihr Kalkül – das verkrustete Kartell des ANC und seiner gesellschaftlichen Vorfeldorganisationen durchbrechen würde. Angehörige einer liberalen politischen Elite in Europa dagegen treibt derzeit in aller Regel die Furcht vor dem Populismus um.

Wie verhält es sich also mit der Rolle des Populismus für die Demokratie? Totengräber oder Jungbrunnen – worauf läuft es hinaus? Unter anderem dieser Frage gehen Cas Mudde und Cristóbal Kaltwasser in ihrer neuen Publikation nach. Und obwohl es sich um ein kleines, gerade einmal 174 Seiten umfassendes Büchlein handelt, fallen sämtliche Antwort stets ausgesprochen differenziert und vielschichtig aus, ohne je zu kompliziert zu werden. Damit sei eine erste Qualität dieser neuen Publikation bereits erwähnt.

In der Einführung (Kapitel eins: „Was ist Populismus?“) entfalten die beiden Autoren mithilfe eines ideenorientierten Ansatzes Definitionsmerkmale von Populismus. Als die vermutlich wichtigste Erkenntnis ist festzuhalten, dass aus Sicht der Autoren der Populismus eine eigenständige Ideologie darstellt – aber, und das ist Wesensmerkmal, eine „dünne Ideologie“. Aus diesem Grund sei der Populismus so vielgesichtig und schwer zu fassen. Er müsse sich mit einer „Wirtsideologie“ verbinden, um überhaupt eine ideengeschichtliche Substanz zu erhalten. Mithilfe der von Populisten dünn ausgelegten drei Schlüsselbegriffe – Volk, Elite und Gemeinwille – analysieren Mudde und Kaltwasser populistische Strömungen von links wie von rechts. Dabei grenzen sie Kommunismus und Faschismus als elitäre Ideologien klar vom Populismus ab.

Für die üblicherweise auf Europa fixierten Leser*innen bietet insbesondere Kapitel zwei („Populismus in aller Welt“) interessante Einblicke nicht nur in die drei Hauptregionen populistischer Strömungen, Nordamerika, Europa und Lateinamerika, sondern auch jenseits dieser drei Kontinente. Dort treten populistische Strömungen seltener oder nur kurzzeitig und abgeschwächt auf. In Afrika liegt es oftmals an den noch sehr repressiven politischen Systemen; in Asien beschränkt er sich auf wenige Länder (unter anderem Thailand und die Philippinen) und auf die Zeit nach der Asienkrise 1997. Herausgearbeitet wird, wie etwa die präsidentiellen Systeme in Nord- und Südamerika dazu neigen, das Element starker Führungspersonen im Instrumentenkoffer populistischer Strömungen zu stärken.

Insbesondere um die Frage von Führung (und Verführung) geht es im vierten Kapitel („Die populistische Führungsfigur“). Die Autoren erinnern zunächst daran, dass es nicht nur starke Männer mit Charisma als populistische Verführer gab und gibt, sondern dass nicht eben selten auch Frauen in diese Rolle schlüpfen: Evita Perón, Pauline Hanson, Pia Kjærsgaard oder Sarah Palin –, um nur einige wenige zu nennen. Analysiert werden die üblichen Handlungs- und Argumentationsmuster dieser charismatischen Personen: Sie fordern mutiges Handeln, sie appellieren an gesunden Menschenverstand und bedienen sich zugleich einer einfachen, beizeiten gar vulgären Sprache, sie beschwören die Dringlichkeit politischer Entscheidungen und bemühen einen dezidierten Antiintellektualismus.

Mudde und Kaltwasser gelingt es stets in hervorragender Weise, knapp und auf den Punkt genau die zentralen Rezeptelemente populistischen Agierens zu benennen und mit wenigen Worten nachvollziehbar zu umreißen. Überspitzt formuliert funktioniert das Buch wie ein Nachschlagewerk durch die populistische Flora und Fauna. Dabei werden auch sonderbare Gebilde aufgespürt und vorgestellt. So etwa linker Ethnopopulismus. Eigentlich ist ein ethnisch ausgrenzender Populismus vor allen Dingen im rechten politischen Spektrum in Europa zu finden. Die Autoren machen aber deutlich, dass diese Form populistischer Strömungen mitnichten Exklusivität auf der rechten Seite des politischen Spektrums genießt. Boliviens Präsident Evo Morales etwa wird klar als linker Ethnopopulist eingeordnet. An dieser wie auch an anderen Stellen gewinnt das Buch dadurch, dass seine zwei Autoren die Perspektiven unterschiedlicher Kontinente einbringen: Der in Nordamerika lehrende Europäer Mudde und der aus Lateinamerika stammende Kaltwasser.

Im dritten Kapitel gehen die beiden Autoren den Mobilisierungspotenzialen von Populismus auf den Grund. Sie erkennen im Wesentlichen drei Vehikel für populistische Mobili: Eine personalisierte Führung; soziale Bewegungen, die vor allen Dingen für die USA kennzeichnend sind (die Tea Party dient folgerichtig als Illustration) und letztlich eben auch Parteien als Instrument populistischer Mobilisierung.

Der Höhepunkt des Buches ist das fünfte Kapitel („Populismus und Demokratie“). Mudde und Kaltwasser betonen, dass populistische Strömungen letzten Endes einer radikalen Mehrheitsdemokratie das Wort reden. Damit stellen sie sich nicht gegen Demokratie an sich und die Autoren bezweifeln, dass es eine sinistere Verschwörung gegen die Demokratie durch die Populisten gibt, wenngleich sie selbstverständlich auch die Fälle beleuchten, in denen an die Macht gelangte linke wie rechte Populisten den demokratischen Wettbewerb zu ihren Gunsten verzerrten (die PiS-Partei in Polen oder Hugo Chávez in Lateinamerika). Aus ihrer Sicht wenden sich Populisten nicht gegen die Demokratie (ohne Adjektive) per se, sondern gegen die liberale (!) Demokratie mit ihren nicht gewählten Institutionen, die eine Regierung in ihren Macht- und Amtsbefugnissen sehr oft stark beschneiden. Das tiefe Misstrauen populistischer Strömungen gegenüber jeglicher Art nicht gewählter Entscheidungsträger wird in diesem Kapitel besonders deutlich. Eine hervorragende Grafik auf Seite 133 umreißt ein dynamisches Modell von Demokratisierungs- und Entdemokratisierungsprozessen und verdeutlicht die manchmal negative, manchmal positive sowie manchmal unklare Wirkung von Populismus auf diese Prozesse.

Wie ist schließlich mit Populismus umzugehen? Aus Sicht von Mudde und Kaltwasser bedarf es anderer Vorgehensweisen als beispielsweise gegenüber Extremisten. Auf populistische Strömungen müsse es komplexe Reaktionen geben . Zu oft würden die Populisten zwar die falschen Antworten, aber immerhin die richtigen Fragen stellen. Auch aufgeklärte liberale Eliten müssten sich diese Herausforderung gefallen lassen und sich ihr stellen, was sie zu oft ungern tun. Vor allen Dingen selbsternannte Beschützer der Europäischen Union werden schnell nervös, wenn Populisten – nicht ganz zu Unrecht – die von supranationalen Institutionen wie der EU eingeschränkte Handlungsfähigkeit von mit demokratischen Mehrheiten ausgestatteten Regierungen kritisieren. Die Populisten mundtot zu machen, sich komplett gegen sie zu verbünden oder sie zu ignorieren, stellen aus Sicht der beiden Wissenschaftler keine geeigneten Strategien gegen Populismus dar.

Das Buch richtet sich an ein breites Publikum, nicht an die Fachwelt. Daher finden sich im Anhang zwar Verweise auf die zentralen Literaturquellen eines Kapitels. Allerdings wurde vollständig auf konkrete Belege, Querverweise und Fußnoten verzichtet. Für die politische Bildung eignet sich das Buch dennoch in hervorragendem Maße.

Selbstverständlich bleibt am Ende vieles offen und ungeklärt. Aber der Titel des Buches gibt auf diesen Vorwurf bereits eine Antwort: Es handelt sich eben um eine „sehr kurze (!) Einführung“ in den Populismus.

 

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Rezension

Walter Ötsch / Nina Horaczek

Populismus für Anfänger: Anleitung zur Volksverführung

Frankfurt a. M., Westend Verlag 2017

Walter Ötsch und Nina Horaczek legen Kernprinzipien des Populismus dar. Ihr Ansatz, das Buch als Anleitung für Jung-Populisten zu schreiben und durch diese Überspitzung die zugrunde liegenden Mechanismen zu veranschaulichen, hält Rezensent Michael Rohschürmann für erfrischend. Sie bieten sozusagen einen Werkzeugkasten des Populismus. Dabei werde deutlich, dass Populismus in erster Linie von Schwarz-Weiß-Dichotomien lebe, von der Reduktion auf „Wir“ und „die Anderen“ und der Schaffung klarer Gruppengrenzen. Kritisch sieht er, dass sich, entgegen des Titels, der Fokus allein auf rechte Parteien richte.
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