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Yves Berna

Politische Aspekte der Flucht europäischer Juden nach China während des Zweiten Weltkriegs

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2011; 320 S.; geb., 49,80 €; ISBN 978-3-631-60429-8
Phil. Diss. (Sinologie) Mainz; Begutachtung: P. Kupfer, P. U. Unschuld, P. Dosert. – Das Bestehen der jüdischen Flüchtlingsgemeinde in Shanghai und die von der chinesischen Bevölkerung entgegengebrachte Hilfe sei „ein Zeichen der sogenannten Freundschaft zwischen dem chinesischen und dem jüdischen Volk [...], deren alte und ehrwürdige Kulturen vieles gemeinsam hätten“ (230) – dieser Eindruck werde in China in neueren wissenschaftlichen Beiträgen vermittelt, alle erschienen, seitdem die Volksrepublik 1992 den Staat Israel offiziell anerkannt habe. Diese Lesart mache allenfalls den Einfluss der Politik auf die chinesische Geschichtsschreibung deutlich, schreibt Berna, sei aber ansonsten gänzlich falsch. Zu dieser Einschätzung gelangt der Autor nach einer akribischen Analyse „all jene[r] politisch-bürokratischen Entscheidungen der verschiedenen Verwaltungen in Europa, Asien und Amerika [...], die bei der Flucht europäischer Juden nach China von Belang waren“ (219). Im Mittelpunkt steht der Zeitraum zwischen der Reichspogromnacht und dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, danach war eine Ausreise nicht mehr möglich. Dass Shanghai überhaupt zum Zufluchtsort von geschätzt 20.000 verfolgten europäischen Juden werden konnte (zur Zahl s. 225), lag daran, dass der Zuzug in diese Stadt aus historischen Gründen nicht beschränkt war. Zudem hatte China infolge der japanischen Invasion die Kontrolle auch über die Küstenstädte verloren. Berna zeichnet den immensen Verwaltungsaufwand der Menschen nach, die meist über Italien mit dem Schiff, seltener mit der Bahn durch die Sowjetunion oder über das Transitland Japan nach Shanghai reisen wollten. Obwohl China keine Hoheitsrechte mehr in Shanghai ausüben konnte, stellte Ho Feng-shan, chinesischer Konsulatsangehöriger in Wien, in großer Zahl entsprechende Visa zur Absicherung der Reise aus. Seine posthume Auszeichnung als „Gerechter unter den Völkern“ durch Yad Vashem hält Berna allerdings für zweifelhaft und dies nicht nur, weil Ho weder gegen den Willen seiner Regierung gehandelt noch sein Leben riskiert habe. Durch die Auszeichnung und seine Herausstellung als Held durch die (1949 gegründete) Volksrepublik werde auch Hos „lebenslanger Kampf gegen den Kommunismus“ (207) ausgeblendet. In der Analyse wird schließlich deutlich, dass Shanghai nur bis Kriegsende ein sicherer Zufluchtsort war; die den Juden gegenüber ansonsten eher indifferente japanische Besatzungsmacht plante, so ein weiteres Ergebnis der Studie, sie nach dem Sieg an das Dritte Reich auszuliefern. Tatsächlich aber wurden die Juden, die nach Kriegsende nicht von selbst abreisten, von den neuen chinesischen Machthabern aus dem Land gedrängt.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 4.1 | 2.312 | 2.68 | 2.23 | 4.42 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Yves Berna: Politische Aspekte der Flucht europäischer Juden nach China während des Zweiten Weltkriegs Frankfurt a. M. u. a.: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34794-politische-aspekte-der-flucht-europaeischer-juden-nach-china-waehrend-des-zweiten-weltkriegs_41830, veröffentlicht am 24.05.2012. Buch-Nr.: 41830 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken