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Jasmin Riedl

Policy-Timing nach 9/11. Die strategische Nutzung politischer Zeit

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2015 (Policy Analyse); 243 S.; 46,- €; ISBN 978-3-8487-1497-1
Politikwiss. Diss. UniBW München; Begutachtung: U. Münch, A. Kaiser. – Die Analyse von politischen Entscheidungen, vor allem im Policyfeld Innere Sicherheit, lässt sich anhand von zwei Merkmalen durchführen, über deren Verhältnis trefflich gestritten werden kann: Lassen sich Verschärfungen in der Gesetzeslage mit einem Ereignishorizont begründen oder fungiert dieser als Katalysator für bereits konkrete, der politischen Wettbewerbssituation geschuldete Reformvorstellungen? Eben diese Frage beschäftigt Jasmin Riedl, die in ihrer Analyse auf die Phase der Schily‑Gesetze im Anschluss an den 11. September 2001 fokussiert. Als Referenz stützt sie sich unter anderem auf den Spieltheoretiker George Tsebelis, was insofern neugierig macht, da die Untersuchungsgegenstände – die Streichung des Religionsprivilegs und der sogenannte IMSI‑Catcher – selbst schon umfänglich diskutiert wurden. Für das Fallbeispiel der Streichung des Religionsprivilegs scheint die sich dabei zeigende Parallele zwischen ICCB (Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden) und Scientology zwar zunächst schlüssig. Ohne eine grundlegende Vorstellung von Terrorismus bleibt der Vergleich aber vage. Damit fällt das Augenmerk auf die seinerzeit recht hitzig geführte Debatte um den IMSI‑Catcher, wobei auch hier als Kontrapunkt der Datenschutz beziehungsweise die Position des Rechts auf informelle Selbstbestimmung merkwürdig vage bleiben. Beide Beispiele sind trefflich gewählt, in beiden Fällen geht es um das Abwägen von Sicherheit als staatlicher Kernkompetenz gegen die durch den Republikgedanken gestärkten Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Ob nun Handlungsspielraum oder Windows of Opportunity: die Autorin will zeigen, dass 9/11 vor allem ein Katalysator war, um die notwendigen Reformen durch den Bundestag und den Bundesrat zu bringen. Dass sie dabei den Föderalismus allenfalls streift, mag der Fragestellung der Arbeit geschuldet sein. Riedl ist aber bei der Feststellung zuzustimmen, dass in den bisherigen Untersuchungen den Akteuren und ihren Handlungsmotiven zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Von daher wäre es zu begrüßen, wenn der schon seit den 1970er‑Jahren diskutierte Ansatz des Policy‑Timings mehr Anklang fände.
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Rubrizierung: 2.343 Empfohlene Zitierweise: Martin Schwarz, Rezension zu: Jasmin Riedl: Policy-Timing nach 9/11. Baden-Baden: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39238-policy-timing-nach-911_47802, veröffentlicht am 07.01.2016. Buch-Nr.: 47802 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken