Skip to main content
Andrea Westermann

Plastik und politische Kultur in Westdeutschland

Zürich: Chronos Verlag 2007 (Interferenzen 13); 387 S.; brosch., 38,- €; ISBN 978-3-0340-0849-5
Diss. Bielefeld. – Westermann erzählt die Geschichte des ersten vollsynthetischen thermoplastischen Werkstoffes Polyvinylchlorid (PVC). Er wurde in den 30er-Jahren von der IG Farben entwickelt und in den 50er- sowie 60er-Jahren im großen Stil produziert. In der Folgezeit geriet er aufgrund seiner Gesundheits- und Umweltrisiken immer stärker in die Kritik. Westermann fragt anhand der Geschichte des PVC nach dem Zusammenhang zwischen der technisch-ökonomischen und gesellschaftlich-politischen Modernisierung Westdeutschlands: Der rasche ökonomische Erfolg des Wiederaufbaus, der sich in einer fortwährenden Verbesserung der Lebensverhältnisse für den Einzelnen niedergeschlagen habe, sei im Lauf der Zeit nicht mehr nur der Marktwirtschaft, sondern auch der parlamentarischen Demokratie zugerechnet worden. „Ohne den demokratischen Verfassungsstaat, der Hand in Hand mit einer prosperierenden Wirtschaft ging, wären die mentalen und kulturellen Wandlungsprozesse nicht vorstellbar gewesen.“ (8) Die Nachkriegsgesellschaft habe sich in hohem Maße auf Technik verlassen, um soziale Ordnung zu etablieren. Umgekehrt seien die mit PVC verbundenen technischen Innovationsprozesse auf politische und kulturelle „Anschlussstellen“ angewiesen gewesen, um die breite Verwendung des Kunststoffs zu erreichen. Die junge Bundesrepublik habe sich „über ihre technisch-ökonomische Modernität“ (9) definiert. Die Autorin weist auf die integrative Funktion von Plastik für die im Entstehen begriffene bundesdeutsche „Verbraucherdemokratie“ (10) hin. Eine detaillierte sozialhistorisch ausgerichtete Fallstudie über Berufskrankheiten in der PVC-Herstellung schlägt schließlich den Bogen in die 70er-Jahre. Die damalige Kritik an PVC zeige einen Wandel der politischen Kultur an. Die äußerst informative, sich auf eine breite Quellenauswertung stützende Arbeit ist im Rahmen des Graduiertenkollegs „Genese, Strukturen und Folgen von Wissenschaft und Technik“ am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Bielefeld entstanden.
Sabine Steppat (STE)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.3 | 2.35 | 2.342 Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Andrea Westermann: Plastik und politische Kultur in Westdeutschland Zürich: 2007, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/21865-plastik-und-politische-kultur-in-westdeutschland_33805, veröffentlicht am 04.06.2008. Buch-Nr.: 33805 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken