Karl-Rudolf Korte / Dennis Michels / Jan Schoofs / Niko Switek / Kristina Weissenbach: Parteiendemokratie in Bewegung. Organisations- und Entscheidungsmuster der deutschen Parteien im Vergleich
24.09.2018Karl-Rudolf Korte, Dennis Michels, Jan Schoofs, Niko Switek und Kristina Weissenbach liefern mit „Parteiendemokratie in Bewegung“ den Abschluss der Reihe „Die politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland“. Die von Korte herausgegebene Reihe beleuchtet seit 2013 die Parteien CSU (Weigl 2013), Die Linke (Oppelland, Träger 2014), FDP (Treibel 2014), CDU (Walter / Werwath / D’Antonio 2014), Bündnis 90/Die Grünen (Switek 2015) und die SPD (Grunden, Janetzki, Salandi 2017). Damit hatte der Abschlussband die große Aufgabe, die zahlreichen Befunde der Einzelbetrachtungen so zu verknüpfen, dass dabei ein lesenswertes Kompendium herauskommt, das sich nicht in der reinen gegenübergestellten Wiederholung der Einzelwerke erschöpft.
Dieser Aufgabe sind die Autor*innen durchaus gerecht geworden. Um einen möglichst präzisen Blick auf das Innenleben und das Umfeld von Parteien einnehmen zu können, wählen sie einen mikropolitischen Ansatz. Dabei gewinnen die Ausführungen auch stets an Plausibilität durch sinnvoll gewählte Beispiele, die die abstrakten theoretischen Argumentationen auf alltagsweltliche Erfahrungen herunterbrechen. Insofern ist diese anekdotenreiche Schilderung leserfreundlich gestaltet.
Im Rahmen der Aufarbeitung des Standes der Parteienorganisationsforschung werden schwerpunktmäßig die ideologischen Fundamente der Parteien, die Problematik der demokratischen Führung, auch unter den Bedingungen widerstreitender Faktionen, sowie die Einflüsse der Organisationsumwelt behandelt. Die oftmals angenommene und vermittelte Homogenität der Parteien als Akteure wird in dieser Betrachtungsweise aufgebrochen, wodurch die Vielschichtigkeit der Parteienorganisationen offenbar wird. In Kapitel vier wird diese Vielschichtigkeit aufgegriffen, wenn auf die Entscheidungsfindung in den Parteien geschaut wird. Neben dem Parteivorstand als in jeder Partei zentralem Akteur ringen die Flügel, Gruppen, Landesverbände, Fraktion, Parteitag und Vorfeldorganisationen um Einfluss. Während die SPD und die Unionsparteien stärker zentralisiert und hierarchisch strukturiert funktionieren, sind Lenkungsprozesse seitens der Parteiführung bei den Grünen und der FDP anforderungsreicher, bei den Linken mitunter nicht möglich.
Bei den Betrachtungen wird zwischen Entscheidungstypen differenziert. So liegt die Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl in der Hand der dezentral agierenden mittleren Parteieliten auf Kreis- und Landesebene. Bei personellen und programmatischen Entscheidungen zu innerparteilichen Ämtern hingegen sind Aushandlungsprozesse verschiedener Akteure zu beobachten – zumeist unter Umgehung der mittleren Parteieliten, die Entscheidungen oft auf Parteitagen nur noch abnicken können. Strategische Entscheidungen, vor allem Koalitionsentscheidungen, liegen vornehmlich in der Hand der Parteiführung. Mitgliederentscheide werden, wie etwa durch die SPD 2013, als Druckmittel in den Koalitionsverhandlungen eingesetzt und sind daher nur bedingt als Signal für einen Ausbau innerparteilicher Partizipationsinstrumente zu verstehen.
Dabei ist Demokratisierung – neben der Öffnung und womöglich auch Digitalisierung – als eine der Strategien zu verstehen, die dem Schwund der Mitgliederbasis der Parteien entgegengesetzt werden können. Sie bewegen sich dabei allerdings auf einem schmalen Grat. Öffnen sie ihre Organisation zu sehr für Nichtmitglieder, entwerten sie die Mitgliedschaft und könnten so letztlich noch mehr Mitglieder verlieren. Vor dem Hintergrund dieser Gefahren sind die Schritte der Parteien eher von kleinteiligen Reformen, die mitunter voneinander abgeschaut werden, geprägt als von großen, radikalen Entwürfen.
So zeigt sich ein allgemein verbindendes Element der deutschen Parteien: ihre überraschende Stabilität trotz der sich permanent wandelnden Umweltbedingungen. Die wohl wichtigste Umweltbedingung, der Wählermarkt, ist indes deutlich volatiler geworden. Seit den 1970er-Jahren reagieren die Parteien auf mediale Erwartungen mit dem Wandel ihrer Wahlkampforganisation hin zu mehr Personalisierung und Professionalisierung. Sie konnten dadurch nicht den Aufstieg eines neuen Mitbewerbers in Form der AfD verhindern. Für den Umgang mit der rechtspopulistischen Partei empfehlen die Autoren ein „Abrüsten des moralischen Hochmuts“ (206) seitens der etablierten Parteien und eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der AfD und ihrer Wähler auf Augenhöhe.
Vor dem Hintergrund der gewachsenen Bedeutung der AfD wirken der Band und auch die Reihe unvollständig, ohne auch diese Partei in den Blick zu nehmen. Gerade eine ausführliche Betrachtung der Entscheidungsfindung der Protestpartei, die vieles anders machen wollte als andere Parteien, wäre womöglich ein Gewinn gewesen. Ansonsten ist das Werk, indem es eine Vielzahl an Themen aufgreift, sehr lesenswert und bietet einen gelungenen Überblick über den Stand der deutschen Parteien im Jahr 2018.
Die Bände der Reihe, vorgestellt in Kurzrezensionen
Aus der Annotierten Bibliografie

Die Linke. Willensbildung in einer ideologisch zerstrittenen Partei

Bündnis 90/Die Grünen. Koalitionsentscheidungen in den Ländern

Die FDP. Prozesse innerparteilicher Führung 2000-2012

Die CDU. Entstehung und Verfall christdemokratischer Geschlossenheit
