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Stefan Jungbauer

Parlamentarisierung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik? Die Rolle des Bundestags bei Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte

Münster: Lit 2012 (Politikwissenschaft 191); 442 S.; 59,90 €; ISBN 978-3-643-11912-4
Diss. Regensburg; Begutachtung: M. Sebaldt, S. Bierling. – Welche Bedeutung kommt dem deutschen Parlament bei der Entsendung der Bundeswehr ins Ausland zu? Stefan Jungbauer konkretisiert diese Frage und untersucht, inwiefern infolge der 1994 vom Bundesverfassungsgericht festgestellten konstitutiven Zustimmung des Bundestags zu Auslandseinsätzen eine „Parlamentarisierung der deutschen Sicherheits‑ und Verteidigungspolitik konstatiert werden kann“ (21). Jungbauer liefert damit einen Beitrag zur Forschungsdebatte, in der sich die Thesen der Entparlamentarisierung und der (Re‑)Parlamentarisierung gegenüberstehen. Im Sinne einer postparlamentarischen Lesart verkommen Parlamente angesichts komplexer werdender Anforderungen (unter anderem durch Mehrebenensysteme, Globalisierungsprozesse und innerstaatliche Machtverschiebungen in Richtung der Exekutive) zu bloßen Ratifikationsinstanzen, die an den Grenzen ihrer Leistungs‑ und Steuerungsfähigkeit angelangt sind. Die neoparlamentarische These sieht dies anders: Parlamente stellen nicht bloß Letztentscheidungsinstanzen, sondern „Mitentscheidungszentrale[n]“ dar, die „Knotenpunkte formeller und informeller Politiknetzwerke“ (80) sind. Jungbauer widmet sich in seiner Untersuchung in fünf Fallstudien (der Evakuierungsoperation Libelle 1997, der Operation Allied Force im Kosovo 1999, EUFOR RD Congo 2006, UNIFIL Plus 2006 und der ISAF‑Mission seit 2001) dem parlamentarischen Machtpotenzial. Im Sinne eines analytischen Konzepts operationalisiert wird von ihm dabei lediglich die Variable des Wirkungsgrads der Macht. Dazu werden die dem Bundestag zur Verfügung stehenden Machtressourcen identifiziert, zu denen Jungbauer legislative Ressourcen (Kontroll‑ und Kommunikationsressourcen) zählt, und „praktische[n] Gegenmachtstendenzen“ (112) entgegengestellt, die im Sinne der Entparlamentarisierungs‑These gegen einen wirklichen Einfluss des Bundestags bei Auslandseinsätzen sprechen. Diese sind dem Autor zufolge globalisierte Sicherheitsrisiken, die geheime Spezialkräfteeinsätze erfordern, multilaterale Bündnisstrukturen, die Informationsüberlegenheit der Bundesregierung und das „parlamentarische Schattendasein der Sicherheitspolitik“ (123). Im Ergebnis der Untersuchung, die auf der Kombination der Auswertung frei zugänglicher Parlamentsdokumente mit Leitfadeninterviews mit Parlamentariern aller Fraktionen basiert, überwiegen für Jungbauer „die Entparlamentarisierungstendenzen […] eindeutig die neoparlamentarischen Argumentationsmuster“ (369). Eine Parlamentarisierung der deutschen Sicherheits‑ und Verteidigungspolitik ist somit nicht zu erkennen.
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Rubrizierung: 2.3214.215.412.3242.672.614.412.632.68 Empfohlene Zitierweise: Christian Patz, Rezension zu: Stefan Jungbauer: Parlamentarisierung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik? Münster: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37900-parlamentarisierung-der-deutschen-sicherheits--und-verteidigungspolitik_44144, veröffentlicht am 18.12.2014. Buch-Nr.: 44144 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken