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Volker Zimmermann / Michal Pullmann (Hrsg.)

Ordnung und Sicherheit, Devianz und Kriminalität im Staatssozialismus. Tschechoslowakei und DDR 1948/49-1989

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2014 (Bad Wiesseer Tagungen des Collegium Carolinum 34); 486 S.; geb., 69,99 €; ISBN 978-3-525-37308-8
Der Kontext von öffentlicher Ordnung und Sicherheit auf der einen sowie von abweichendem Verhalten und Kriminalität auf der anderen Seite ist ein geradezu genuiner Aspekt bei der Analyse sozialistischer Staaten. Selten aber wird dieser Komplex selbst in den Mittelpunkt gerückt wie in diesem Band, in dem die Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum im November 2011 versammelt sind. In den Beiträgen – einige sind vergleichend angelegt, in den meisten wird ein konkretes Thema entweder für die DDR oder die Tschechoslowakei untersucht – entfaltet sich ein Panorama von Verhaltensweisen, die vom Staat unerwünscht waren und damit weit entfernt vom Bild des braven neuen Menschen in einer Gesellschaft, in der es gemäß der Engel’schen Utopie zu „einer Verschmelzung von Ökonomie und Sicherheit“ (8) und damit zur Abschaffung von Devianz und Kriminalität gekommen wäre. Die Herausgeber interpretieren denn auch viele von deren Formen „sowie die staatlichen Reaktionen darauf [als] Indikatoren für gesellschaftliche Verwerfungen, wirtschaftliche Problemlagen, Legitimationsdefizite staatlichen Handelns“, aber auch mitunter als jene einer „stillen Übereinstimmung“ (6) zwischen Staatsführung und angepasster Bevölkerung. Auffällig an den in den Beiträgen dargestellten, vom Staat als kriminell eingestuften und verfolgten Handlungen ist, dass sie zu einem erheblichen Teil zu solchen nur wurden, weil der Staat die Selbstbestimmung und freie Entfaltung des Einzelnen behinderte – oder auch nur dessen Versorgung mit alltäglichen Dingen. Als Beispiel für den Diebstahl von sozialistischem Eigentum – nach Recherchen Zimmermanns etwa die Hälfte aller wirtschaftskriminellen Delikte – zeigt Tomáš Vilímek, wie im Nationalbetrieb Automobilwerke, den heutigen Škoda‑Werken, sowohl einfache Arbeiter für ihre eigenen Autos Ersatzteile, die sonst nicht zu bekommen waren, stahlen, als auch der Direktor sich daran beteiligte, Fahrzeuge unter Wert und unter der Hand zu verkaufen. Für den künstlerischen Bereich stellvertretend steht die von Eva Pluha?ová‑Grigien? geschilderte Verhaftung und Verurteilung des Fotografen Jind?ich Streit, der den trostlosen Alltag abzubilden gewagt hatte. Wie fließend immer wieder die Übergänge zum oppositionellen Verhalten waren, zeigt auch die Studie von Madeleine Tost zu den ersten Punkern der DDR – deren Verhalten wurde überhaupt erst vom repressiven Staat politisiert. Insgesamt wird in diesem lesenswerten Band die schon vielfach aufgezeigte Tatsache verifiziert, dass staatssozialistische Systeme zwar mitunter einige Zeit über Probleme hinwegsehen konnten, in ihrer Reaktion dann aber immer repressiv waren.
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Rubrizierung: 2.252.3142.612.232.263 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Volker Zimmermann / Michal Pullmann (Hrsg.): Ordnung und Sicherheit, Devianz und Kriminalität im Staatssozialismus. Göttingen u. a.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38511-ordnung-und-sicherheit-devianz-und-kriminalitaet-im-staatssozialismus_46563, veröffentlicht am 11.06.2015. Buch-Nr.: 46563 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken