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Rainer Eckert

Opposition, Widerstand und Revolution. Widerständiges Verhalten in Leipzig im 19. und 20. Jahrhundert. Herausgegeben vom Archiv Bürgerbewegung Leipzig

Halle (Saale): mdv Mitteldeutscher Verlag 2014; 411 S.; geb., 24,95 €; ISBN 978-3-95462-343-3
Der Begriff „Heldenstadt“ taucht im Titel zwar nicht auf, aber dass der Schriftsteller Christoph Hein mit dieser Zuschreibung, ausgesprochen auf der Berliner Demonstration am 4. November 1989, richtig lag, arbeitet der Historiker und Politikwissenschaftler Rainer Eckert so unprätentiös wie überzeugend in dieser Biografie einer Stadt heraus. Dabei zeigt sich der 9. Oktober 1989, auf den Hein sich bezog, als der Tag, an dem über die Diktatur in der DDR entschieden wurde – und zwar, anders als am 17. Juni 1953, gegen sie. Gefällt wurde die Entscheidung von (wahrscheinlich weit mehr als den anfangs geschätzten) 70.000 Bürgerinnen und Bürgern, die gegen das reformunfähige SED‑Regime protestierten und durch ihre schiere Anzahl wie ihre konsequente Gewaltlosigkeit die Sicherheitskräfte von einem Eingreifen abhielten. Dieser Tag „ist einer der wenigen deutschen Gedenktage ohne Opfer“ (292). Wie es „Leipzig in den Achtzigern schafft, aus andersdenkenden Menschen Andershandelnde zu machen“ (10), wie es Lutz Rathenow im Vorwort formuliert, zeigt Eckert in einer historisch weiter ausholenden Erzählung, angefangen mit Auseinandersetzungen der Bürger mit ihrem Markgrafen im 13. Jahrhundert. Als wichtige Stationen bei der Herausbildung des städtischen Bewusstseins und der politischen Kultur werden die dortige Gründung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ 1863 durch Ferdinand Lassalle ebenso wie des „Leipziger Frauenfortbildungsvereins“ als Impulsgeber der bürgerlichen Frauenbewegung genannt. Erinnert wird auch daran, dass sich Oberbürgermeister Carl Goerdeler im März 1933 weigerte, „auf dem Neuen Rathaus die Hakenkreuzflagge hissen zu lassen“ (30). Den Schwerpunkt bildet die Situation der Stadt in der DDR, gezeichnet durch die Repression an der Universität mit der Verdrängung von Professoren wie Ernst Bloch und Hans Meyer, durch die eingeschränkten Möglichkeiten der Kirchen und den gescheiterten Aufstand am 17. Juni 1953. Vor allem aber entfaltet Eckert die Geschichte von Opposition und Gegenkultur und erzählt damit von den Versuchen, in der DDR ein selbstbestimmtes Leben zu führen – was immer wieder vom Regime bestraft wurde. Dieser Sanktionierung aber entzogen sich dann doch die Protagonisten der Friedensgebete, von denen die Montagsdemonstrationen und damit der 9. Oktober 1989 ausgehen sollten. Die friedliche Revolution zeigt sich damit am Beispiel und Vorbild Leipzigs als Erfolg einer beharrlichen Zusammenarbeit verschiedener gesellschaftlicher Gruppen – von Vertretern der Kirche über Umwelt‑ und Friedensaktivisten bis zu Ausreisewilligen –, die ihre Rechte wahrnehmen und damit auch demokratische Verantwortung tragen wollten.
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Rubrizierung: 2.3142.3112.35 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Rainer Eckert: Opposition, Widerstand und Revolution. Halle (Saale): 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38162-opposition-widerstand-und-revolution_46374, veröffentlicht am 12.03.2015. Buch-Nr.: 46374 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken