Skip to main content
Bryan Stevenson

Ohne Gnade. Polizeigewalt und Justizwillkür in den USA. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Neubauer

München/Berlin/Zürich: Piper 2015; 413 S.; geb., 20,- €; ISBN 978-3-492-05722-6
Bryan Stevenson, Bürgerrechtler und Anwalt, der Menschen ohne anderen Rechtsbeistand, verurteilte Mörder und jugendliche Straftäter vertritt, beschreibt aus der Praxis heraus die Entwicklung der USA zu einer Strafgesellschaft. Sein Buch liest sich wie eine Mischung aus Roman und Sozialreportage und lässt den Leser ernüchtert, wenn nicht gar schockiert zurück. Das Motto seiner Großmutter, die wichtigsten Dinge aus der Nähe und nicht aus der Distanz zu betrachten, steht paradigmatisch für das Buch. In manchen Teilen fordert es emotional derart heraus, dass man entweder verzweifeln oder herausgehen möchte, um der Welt die Ungerechtigkeit ins Gesicht zu schreien. Wenn Stevenson beispielsweise von einer Begegnung mit einem zum Tode verurteilten 14‑jährigen Jungen berichtet, der unter Tränen die Vergewaltigung durch das Wachpersonal des Gefängnisses schildert, stellt sich die Frage, wie es psychisch um eine Nation stehen muss, die so mit den Schwächsten umzugehen gewillt ist. Stevenson hat sich schon früh dem Alltag der Armen, dem institutionellen Rassismus und dem Kampf der Afroamerikaner für Gleichberechtigung verschrieben. Die Folge war eine Berufung zum Anwalt, die nicht darin besteht, den Mächtigen das Recht untertan zu machen, sondern das Recht als Stütze der Schwachen gegen die Starken in Stellung zu bringen, mitsamt der damit einhergehenden religiösen Konnotation. Hauptperson des Buches ist Walter McMillian, der beschuldigt wird, eine weiße Frau getötet zu haben, obwohl er sich zur Tatzeit auf einer Grillparty mit Dutzenden Zeugen befunden hat. Er erinnert auf fatale Art und Weise an den schwarzen Farmarbeiter Tom Robinson aus Harper Lees Roman „Wer die Nachtigall stört”, während Stevenson die Rolle des Anwalts Atticus Finch übernimmt. Zwischen den bewegenden Schilderungen von Einzelschicksalen skizziert Stevenson die Konsequenzen aus dem neoliberalen Umbau des Staates, der hieraus resultierende gesellschaftliche Probleme in den Bereichen Gesundheit, Drogen, Armut sowie Verhaltensauffälligkeiten, geistige Behinderung und illegale Einwanderung per Masseninhaftierung lösen will.
{PS}
Rubrizierung: 2.642.212.232.25 Empfohlene Zitierweise: Patrick Stellbrink, Rezension zu: Bryan Stevenson: Ohne Gnade. München/Berlin/Zürich: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39417-ohne-gnade_47920, veröffentlicht am 18.02.2016. Buch-Nr.: 47920 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken