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Wolf-Dieter Narr

Niemands-Herrschaft. Eine Einführung in die Schwierigkeiten, Herrschaft zu begreifen. Hrsg. von Uta v. Winterfeld

Hamburg: VSA 2015; 316 S.; 26,80 €; ISBN 978-3-89965-600-8
„Herrschaft von Menschen über Menschen […] ist und bleibt in allen Formen, Institutionen und Personen ein Ärgernis“. Mit diesem Verständnis eröffnet Wolf‑Dieter Narr seine „vor fast einem Vierteljahrhundert“ (10) begonnene Auseinandersetzung mit einem elementaren und heiklen Grundbegriff der Politik. Dem Buch ist die Herkunft aus den Debatten der 1970er‑Jahre durchaus anzumerken. So setzt die Arbeit zunächst mit einem untypisch gewordenen methodologischen Exkurs über die Struktur von Theorien, den Begriff der Politik und die Konstruktion von Wirklichkeit an. Ab Kapitel vier wendet sich der Autor dann unmittelbar der Herrschaftsthematik zu. In bildreichen Worten werden herrschaftliche Erscheinungsformen und Ausdifferenzierungen beschrieben. Narr vertritt ein weites Herrschaftsverständnis, das sowohl gewalttätige Durchsetzung als auch psychische Verinnerlichung umfasst und mit vielfältigen Legitimationstechniken korrespondiert. Lesenswert sind etwa die polemischen Ausführungen über „Sprache und Herrschaft“ (161f.). Der eigentliche Wert des Buches liegt aber in der Neugier des Autors, die zu anregenden Fragen führt: Wie kommt es, dass Herrschaft beginnt, sich den Herrschenden und den Beherrschten zu entziehen, sich zu verselbstständigen? (Siehe hierzu auch Christian Postberg, „Macht und Geld“, Buch‑Nr. 46385) Oder umgekehrt: Was passiert, wenn Herrscher mit ihrer Herrschaft gar nichts anfangen wollen? Im Ergebnis unterstreicht Narr die Probleme bei der Errichtung von herrschaftsfreien Ordnungen. Spätestens hier wird wiederum deutlich, dass er nicht präzise zwischen Macht und Herrschaft unterscheidet. Das ist insofern bedauerlich, als eine machttheoretische Verortung gewinnbringend für Narrs Kritik an den Vorstellungen von (liberaler) Demokratie und den kraftlosen demokratischen Vorrichtungen gegen die Beherrschung von Menschen gewesen wäre. Auch wenn er etwa den Eigenwert politischer Repräsentation unterschätzen dürfte, legt Wolf‑Dieter Narr im Angesicht der Redeweise von ‚Alternativlosigkeit‘, ‚Sachzwängen‘ und ‚Postdemokratie‘ ein wichtiges und meinungsfreudiges Buch vor.
{HCM}
Rubrizierung: 5.15.41 Empfohlene Zitierweise: Hendrik Claas Meyer, Rezension zu: Wolf-Dieter Narr: Niemands-Herrschaft. Hamburg: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38887-niemands-herrschaft_45932, veröffentlicht am 24.09.2015. Buch-Nr.: 45932 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken