Die Zivilisationsidee einer „säkularen und autonomen Demokratie“ (239) sei der Mythos, der noch heute die politische Kultur dieses Landes und sein Bild in Europa präge. Der in Paris lebende Schweizer Journalist Brändle porträtiert diese politische Kultur und ihre Gepflogenheiten von der Sprachpflege bis zum massenhaften Versuch der Steuerhinterziehung allerdings kritisch - entgegen dem allgemeinen französischen Selbstverständnis sei durchaus nicht alles vorbildlich. Die Medien seien keinesfalls als vierte Gewalt zu sehen, sondern die „Hofnarren der modernen Republik“ (56), deren politische Berichterstattung durch Geheimniskrämerei geprägt sei. Ein weiteres Beispiel für den Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit ist nach Ansicht des Autors die Kritik an der Globalisierung und der Versuch, die Vormachtstellung französischer Unternehmen auf dem heimischen Markt zu stützen (auch mit finanzieller Unterstützung durch den Staat), obwohl französische Konzerne erfolgreich als Global Player agierten. Weitere Themen sind u. a. die durch den „Mythos der Egalité“ (18) überdeckte fortdauernde Diskriminierung von Einwanderern und deren Nachkommen sowie der arabische Antisemitismus, der vor allem in den Vororten der Großstädte grassiert. Ein besonderes Augenmerk wirft der Autor außerdem auf das Verhältnis von Bürger und Staat. In diesem laizistischen Land sei die Republik zur Religion und „der Staat fast so mächtig wie Gott“ (241) geworden. Der Gedanke aber, dass der Staat die Gesamtheit der Bürger bilde, sei diesen fremd. Sie würden eher „wie eine wild gewordene Herde durcheinander“ rennen, „was täglich zu verkeilten Strassenkreuzungen und etwas seltener zu Revolutionen führt“ (223).