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Andreas Koop / Holger Marcks / Magdalena Marsovszky

Mit Pfeil, Kreuz und Krone. Nationalismus und autoritäre Krisenbewältigung in Ungarn

Münster: Unrast 2013; 207 S.; 14,- €; ISBN 978-3-89771-047-4
Ungarn hat in den vergangenen Monaten unter Führung von Ministerpräsident Viktor Orbán und dessen Fidesz‑Partei mit einem politischen Schwenk ins Nationale, ins Populistische, ins Homophobe und ins Antisemitische von sich reden gemacht. Das Land hat damit einen Rechtsruck hinter sich, der, wie manche Kommentatoren nicht zu Unrecht geschrieben haben, dem ungarischen Rechtsstaat und seinem Ansehen in Europa schweren Schaden zugefügt hat und der noch dazu jüngst (2012) durch eine tiefgreifende Verfassungsänderung abgesichert wurde. Die Autor_innen des Bandes distanzieren sich allerdings von dieser in einer breiten medialen Öffentlichkeit wiedergegebenen Sichtweise in einer wichtigen Hinsicht. Was in Ungarn passiere, sei mitnichten bloß ein Rechtsruck, der sich wie jede politische Stimmung demnächst auch abschwächen, verändern oder der gar ganz verschwinden könne. Es handele sich nicht um ein rein gegenwärtiges Ereignis, vielmehr gründeten die aktuellen Veränderungen auf der Selbststilisierung Ungarns als einer bedrohten, von Feinden umzingelten, der Auslöschung anheimgegebenen Nation. Dies werde von der politischen Rechten bereits seit Langem kommuniziert. In vier eingängigen, gut verständlich geschriebenen Kapiteln zeichnen die Autor_innen damit eine Entwicklung der ungarischen Demokratie nach, die nur sehr unzureichend mit Begriffen wie „Putinisierung“ oder „Viktatur“ (12) beschrieben ist: Es „offenbart sich ein gesellschaftlicher Umbruch“ (203). In der Zusammenschau von strukturellen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, etwa der neuen Verfassung oder der Einschränkung der Medien‑ und Pressefreiheit und der immer radikaler werdenden nationalen Integration des ungarischen Volkes gegen seine vermeintlichen Feinde, bekommt dieser Umbruch ein Gesicht. Bei der augenblicklichen Entwicklung handelt es sich, so die finale Einschätzung, keineswegs um eine bloße Abwendung von der Demokratie, auch nicht um eine wie auch immer geartete Form der Autoritärwerdung von Demokratie, sondern vielmehr um deren Überwindung: „Insofern“, so das Resümee des Bandes, „können wir die ungarische Entwicklung als eine bezeichnen, die zumindest die Option auf den Faschismus eröffnet“ (207). Hierüber eine europaweite Debatte anzustoßen ist ein überfälliges Unterfangen. Der Band, der sich als Beitrag zu einer solchen Debatte versteht, ist damit nicht nur all jenen zu empfehlen, die sich über die jüngere Geschichte Ungarns informieren wollen, sondern jeder Demokratin und jedem Demokraten.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.61 | 2.23 | 2.25 | 2.262 | 2.263 | 2.22 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Andreas Koop / Holger Marcks / Magdalena Marsovszky: Mit Pfeil, Kreuz und Krone. Münster: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/9238-mit-pfeil-kreuz-und-krone_43204, veröffentlicht am 25.04.2013. Buch-Nr.: 43204 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken