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Nina Leonhard / Jürgen Franke (Hrsg.)

Militär und Gewalt. Sozialwissenschaftliche und ethische Perspektiven

Berlin: Duncker & Humblot 2015 (Sozialwissenschaftliche Studien 50); 315 S.; 74,90 €; ISBN 978-3-428-14581-2
„Gewalt hat viele Gesichter“, schreiben einleitend Jürgen Franke und Nina Leonhard. Gewalthandeln sei prinzipiell immer und überall möglich und könne destruktive wie konstruktive Folgen zeitigen. Dieser ambivalente Charakter der Gewalt begründet Frankes und Leonhards kritische Beschäftigung mit Gewaltphänomenen in diesem Band, der an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg entstanden ist. Konkret geht es um eine interdisziplinäre Beschäftigung mit jener Gewalt, die durch Streitkräfte „vorgehalten, organisiert und angewandt wird“ (5), dabei insbesondere um Deutschland und die Bundeswehr. Das Militär als Repräsentant des staatlichen Gewaltmonopols unterliege, um als legitim gelten zu können, besonderen Kontrollzwängen. Aus dieser Kontrolle ergebe sich ein Spannungsfeld zwischen Einhegung und Legitimation militärischer Gewalt, das die gesellschaftliche Verortung des Militärs als staatliche Organisation bedinge. Streitkräfte hätten, so Franke, angesichts ihrer hierarchischen Organisations‑ und Funktionsprinzipien sowie einer von Disziplin, Konservatismus, Maskulinität und sozialräumlicher Segregation geprägten „Militärkultur“ (66) grundsätzlich „ein schwieriges Verhältnis zur Demokratie“ (59). Angesichts der veränderten deutschen Außen‑ und Sicherheitspolitik sei es in zunehmendem Maße wichtig, demokratisch‑zivile Kontrolle im Dialog zwischen Politik, Öffentlichkeit und Streitkräften zu stärken. Heiko Biehl widerspricht jenen Rufen der „strategic community“, die deutsche Gesellschaft solle ihr Verhältnis zur Anwendung militärischer Gewalt „normalisieren“ (110): Die Skepsis der deutschen Bevölkerung gegenüber militärischen Mitteln entspreche einem europäischen Muster. Wolfgang Schmidt analysiert Berufsbiografien von Mitgliedern der frühen Bundeswehr‑Elite, deren Bewertung als „karriereorientierte[.] Gewalttechnokraten mit durchgängig opportunistischer Grundhaltung“ (in Anlehnung an Martin Kutz, 206), mitunter auch als „rücksichtslose Egomanen mit deutlich spürbarer aggressiver Energie“ (in Anlehnung an Elke Horn, 199) durchaus schlüssig sei. Ihr Denken und Handeln sei nachhaltig an die Weltkriege gefesselt gewesen, auch wenn die demokratische Ordnung den „zweifellos vorhandenen Gewaltdispositionen“ (207) einen Riegel vorgeschoben habe. Mit Blick auf subjektive Gewalterfahrungen von Soldat_innen der Bundeswehr kommt Maren Tomforde zu dem Ergebnis, dass die deutsche Gesellschaft Rückkehrer_innen nicht selten hilflos gegenüberstehe, ihnen gegenüber aber eine hohe Verantwortung habe. Dem gelungenen Band ist ein hoher Reflexionsgrad zu attestieren, der einer kritischen Beschäftigung mit dem schwierigen Verhältnis von Gewalt, Militär und Demokratie angemessen ist.
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Rubrizierung: 4.41 | 4.21 | 2.324 Empfohlene Zitierweise: Hendrik Simon, Rezension zu: Nina Leonhard / Jürgen Franke (Hrsg.): Militär und Gewalt. Berlin: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39106-militaer-und-gewalt_47557, veröffentlicht am 19.11.2015. Buch-Nr.: 47557 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken