
Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft. Plädoyer für einen aufgeklärten Multikulturalismus
Bielefeldt, Direktor des deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin, legt eine systematische Anwendung der Menschenrechtstheorie auf ein besonders konfliktträchtiges Problemfeld vor. Im ersten grundlegenden Teil der Studie wird ein theoriegesättigter Begriff der Menschenrechte entwickelt, das Konzept des Multikulturalismus problematisiert und die besondere Bedeutung der religiös-weltanschaulichen Neutralität des säkularen Rechtsstaates herausgearbeitet. Der zweite umfangreichere Teil des Buches ist den exemplarischen Anwendungsfragen der Menschenrechte in der deutschen Einwanderungsgesellschaft gewidmet: dem Islam und der Scharia unter dem Grundgesetz, dem islamischen Religionsunterricht, dem Kopftuchstreit, der Bekämpfung von Zwangsehen und der Gestaltung von Einbürgerungstests. Es geht also schwerpunktmäßig um Einwanderung aus muslimischen Kulturen. In all diesen Fragen zeigt sich die Ambivalenz der Menschenrechte, die einerseits das Recht auf ungestörtes Ausleben der eigenen Religion und Kultur verbürgen, andererseits aber ein deutlich emanzipatorisch-säkulares Programm verkörpern. Bielefeldt plädiert hier für einen aufgeklärten Multikulturalismus, der um die Kontingenz kultureller Konstrukte weiß. Die Lösung widerstreitender menschenrechtlicher Ansprüche ist möglich, wenn dabei auf den Kern der Menschrechte, die freie Selbstbestimmung (Autonomie), reflektiert wird. „Menschenrechte sind eine Errungenschaft der Aufklärung, die sich nur in der Fortführung der Aufklärung bewahren lässt.“ (197) Es ist das besondere Verdienst Bielefeldts, einer aufgeregten, ideologisierten, von Islamophobie und Islamismus geprägten Debatte mit Nüchternheit, Respekt und Realismus zu begegnen.