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Sylvia Nasar

Markt und Moral. Die großen Ökonomen und ihre Ideen. Aus dem amerikanischen Englisch übertragen von Yvonne Badal

München: C. Bertelsmann 2011; 653 S.; 29,99 €; ISBN 978-3-570-10026-4
Karl Marx wäre wohl eine Fußnote in der (Wirtschafts‑)Geschichte geblieben, hätte sich nicht der realexistierende Sozialismus auf ihn berufen. Dieser leicht verschrobene deutsche Gelehrte, der in seinem Londoner Exil allenfalls das Haus verließ, um in der Bibliothek zu arbeiten, analysierte zwar die kapitalistische Produktionsweise. Eine anschlussfähige Theorie aber, so vermittelt es jedenfalls Sylvia Nazar, Wirtschaftsexpertin und Professorin für Journalistik in New York, schuf Marx nicht. Den Beginn der Evolution der Idee, dass der Mensch nicht einer ungesteuerten wirtschaftlichen Entwicklung unterworfen sein muss, setzt sie zwar fast zeitgleich im England des 19. Jahrhunderts an – aber mit Charles Dickens, der als einer der Ersten entsetzt die Armut unter den Bedingungen der frühen Industrialisierung beschrieb. Von diesen Beobachtungen ausgehend schildert Nazar chronologisch, zu welchen Überlegungen und Modellen das Spannungsverhältnis von freiem Markt und moralischen Ansprüchen der Gesellschaft führte – von Kriegen und Wirtschaftskrisen vorangetrieben sowie angebunden an die persönlichen und auch politischen Erfahrungen von Ökonomen und Ökonominnen, die prägend vor allem in Großbritannien und den USA wirkten. Im Mittelpunkt stehen Alfred Marshall und Beatrice Webb, Irving Fischer und Joseph Schumpeter, John Maynard Keynes, Milton Friedman und Friedrich von Hayek sowie schließlich Paul Samuelson, unter dessen Einfluss John F. Kennedy die Steuern senkte. Sie erscheinen als aufeinander folgende Denker, Freunde oder Konkurrenten, die sich gegenseitig inspirierten. Joan Robinson wiederum repräsentiert die verirrte Faszination für die Wirtschaftssysteme der sozialistischen Staaten. Je mehr aber die Menschen der Armut entrinnen, so Nazar, desto weniger überzeugend sind die „Rationalisierungsversuche von Diktatoren“ (569), die ökonomische Wahrheiten unterdrücken oder ignorieren – allerdings endet ihre Darstellung mit Samuelson und Kennedy und nicht später etwa mit Friedman, den Chicago Boys und der Pinochet‑Diktatur. Zukunftsweisend sind aber die Überlegungen des Ökonomen, mit dem Nazar ihre Betrachtungen in der Gegenwart enden lässt: Amartya Sen. Er fragt – wieder und dieses Mal im globalen Maßstab –, welchen Beitrag die Wirtschaftstheorie leisten kann, um Armut zu bekämpfen, eine gerechte Gesellschaft zu schaffen sowie „Individualrechte mit ökonomischer Fürsorge“ (559) in Einklang zu bringen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 5.1 | 5.45 | 5.46 | 5.33 | 2.1 | 2.22 | 2.4 | 2.61 | 2.64 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Sylvia Nasar: Markt und Moral. München: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35773-markt-und-moral_43396, veröffentlicht am 28.02.2013. Buch-Nr.: 43396 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken