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Sun Shuyun

Maos Langer Marsch. Mythos und Wahrheit. Aus dem Englischen von Henning Thies

Berlin: List Taschenbuch 2009; 383 S.; kart., 9,95 €; ISBN 978-3-548-60892-1
Der „lange Marsch“ gilt als Gründungsmythos der Volksrepublik, Anfang der 30er-Jahre zogen rund 200.000 Menschen unter der Führung von Mao quer durch China und wurden damit das Vorbild für alle nachfolgenden Generationen. „Man hat uns eingebläut, dass wir jedes von der Partei vorgegebene Ziel erreichen können, weil nichts je wieder so schwer sein könne wie das, was die kommunistischen Veteranen geleistet hätten“ (12), schreibt die Schriftstellerin Sun. Und tatsächlich ist dies nicht ganz falsch: Dem Einzelnen wurde damals geradezu Unmenschliches abverlangt. Als Vorbild taugt der „lange Marsch“ bei einer Betrachtung ohne Propagandagetöse aber überhaupt nicht: Sun, die für ihre Recherchen dieselbe Route bereiste und auf dem Weg mehr als vierzig Veteranen sprach, schildert eine kriegsbedingte Flucht ohne festes Ziel. Nur ein Fünftel der ursprünglich Aufgebrochenen sei im Nordwesten Chinas angekommen, alle anderen waren – falls ihnen nicht die eigene Flucht gelungen war – unterwegs in Schlachten oder an Krankheiten und Erschöpfung gestorben, Männer wie Frauen. Sogar die neugeborenen Kinder wurden bei Bauern zurückgelassen oder auch nur ausgesetzt, Mao machte bei seiner eigenen Tochter keine Ausnahme. Sun bietet eine insgesamt eindrucksvolle Schilderung, die vor allem durch die Offenheit der Zeitzeugen besticht. Dies gilt auch für einen ehemals hohen General der chinesischen Armee, der ebenfalls ein Veteran war. Auf ihre Frage, wie viel die jungen Soldaten über den Kommunismus gewusst hätten und was der Kommunismus überhaupt sei, antwortet er: „Können Sie es mir bitte sagen? Ich hatte damals keine Idee und habe es heute noch nicht. Ich bezweifle sogar, dass Mao die Antwort wusste. [...] Für mich ist es ein Traum, ein wunderschöner Traum, der uns am Leben hielt“ (146). Diese Antwort, die sich nur vor dem Hintergrund des von Armut und Ungerechtigkeit geprägten vorkommunistischen Chinas verstehen lässt, gibt aber einen Hinweis darauf, warum sich der „lange Marsch“ als Symbol des Aufbruchs so erfolgreich zur Legitimation der KP einsetzen ließ.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.682.25 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Shuyun Sun: Maos Langer Marsch. Berlin: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/30538-maos-langer-marsch_36259, veröffentlicht am 02.07.2009. Buch-Nr.: 36259 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken