
Linke und Gewalt. Pazifismus, Tyrannenmord, Befreiungskampf
Felix Wemheuer hat für die Edition Linke Klassiker ausgewählte Artikel über die Rolle bewaffneter Auseinandersetzungen in sozialrevolutionären Projekten zusammengestellt. Der Band ist nach unterschiedlichen historischen Schauplätzen und Themen (russische Revolution, europäischer Kolonialismus, Bundesrepublik Deutschland) gegliedert, zu denen jeweils sowohl die Befürworter als auch die Gegner revolutionärer Gewalt zu Wort kommen. Bei den einzelnen Beiträgen handelt es sich eher um journalistische bis polemische Auseinandersetzungen denn um theoretische Analysen. Deutlich wird aus heutiger Perspektive vor allem, wie vielschichtig sich die Frage der Gewalt darstellt. Nicht selten kommt es vor, dass Vertreter des Pazifismus und Befürworter des Militarismus aneinander vorbeireden: Wenn zum Beispiel Lenin von der Notwendigkeit der Umwandlung des imperialistischen Kriegs in einen Bürgerkrieg als einzige Antwort auf die „Tatsache“ der „Bewaffnung der Bourgeoisie gegen das Proletariat“ (35) spricht, hat er dabei bestimmt nicht „vorrausetzungslos eine einheitliche Masse“ (41) im Sinn, wie es ihm Pierre Ramus unterstellt und daraufhin ihm Anhängerschaft einer „militaristischen Ideologie“ (40) attestiert. Lenin ist sich der Schwierigkeiten bei der Agitation der Masse und für den Internationalismus wohl bewusst, brandmarkt jeglichen Hinweis auf die drohende Gefahr einer Gewaltspirale aber im Gegenzug pauschal als „Opportunismus“ (37). Der Schwerpunkt des kurzen Bandes liegt auf Texten vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Dadurch kommt die Diskussion von Projekten der Stadtguerilla ganz am Ende leider ein wenig zu kurz, es fehlt der Anschluss zu den marginalen gegenwärtigen Kämpfen. Der jüngste enthaltene Text – ein Interview mit zwei Aktivistinnen der Roten Zora – über den Widerstand gegen Gentrifizierung und Geschlechterrollen im Antikapitalismus, für die gegenwärtige Linke also brandaktuelle Themen, ist immerhin schon rund 30 Jahre alt. Auch von den bis heute aktiven Teilen der Zapatisten, indischen und nepalesischen Maoisten oder der kurdischen Arbeiterpartei, die ja tatsächlich gerade jetzt quasi Bürgerkriegspartei im zersplitterten Syrien ist, hat es kein Text in den Band geschafft. Umso wertvoller ist dafür aber der einleitende Aufsatz von Wemheuer selbst, in dem mithilfe eines Modells von sich ablösenden „globalen Revolutionszyklen“ (8) eine Brücke von den alten, großen Revolutionen zu heutigen Auseinandersetzungen vorbereitet wird.