Skip to main content
Jörn Leonhard

Liberalismus. Zur historischen Semantik eines europäischen Deutungsmusters

München: R. Oldenbourg Verlag 2001 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 50); 800 S.; 79,80 €; ISBN 3-486-56533-8
Geschichtswiss. Diss. Heidelberg; Gutachter: V. Sellin, C. Zimmermann. - Das im Einleitungskapitel vorgestellte Forschungsprojekt Leonhards mutet gewaltig an: Anhand einer historisch-semantischen Analyse des Wortfeldes "Liberalismus" will der Autor die Entwicklung des erst retrospektiv zu einem Singular zusammengefassten Phänomens "Liberalismus" nachzeichnen, und das nicht nur im deutschen, sondern auch im französischen, italienischen und englischen Politikdiskurs. Bereits aus dieser kurzen Skizze der Arbeit erklärt sich ihr immenser Umfang. Der Leser, der den Langmut mitbringt, sich durch die nahezu 700 Textseiten hindurchzuarbeiten, wird allerdings mit einer methodisch anspruchsvollen, detaillierten und dennoch stringent bleibenden Studie belohnt, die sorgfältig die historischen Untiefen unterhalb der glattgeschliffenen Oberfläche des überinklusiven Liberalismusbegriffs auslotet. In puncto Themenbreite, methodologischer Vielfalt, Eigenständigkeit der Fragestellung und Stringenz der Argumentation liefert der Autor eine weit überdurchschnittliche Dissertation. Die Vielseitigkeit der semantischen Analyse gründet in einer souveränen methodologischen Reflexion, die den begriffsgeschichtlichen Ansatz Kosellecks mit der diskursanalytischen Position Foucaults und der sprachsensiblen angelsächsischen Intellectual History verbindet. Die Arbeit zeigt anhand der komparativen Studie, wie dem verbreiteten ideengeschichtlichen Liberalismusbegriff, der Liberalismus als einen Traditionszusammenhang versteht, aus dem sich die westlichen Verfassungsstaaten und Demokratien entwickelt haben, ein ideologiekritischer Liberalismusbegriff, der Liberalismus im Spannungsfeld von Programm und Praxis des europäischen Bürgertums versteht, sowie ein im engeren Sinne historischen Liberalismusbegriff unterliegen, der Liberalismus als konkret politisch-soziale Bewegung auffasst. Durch die gekonnte Verschränkung ideen-, ereignis- und sozialgeschichtlicher Perspektive entgeht die Untersuchung des Deutungsmusters "Liberalismus" Reduktionismen verschiedener Art. Weder konzentriert sie sich allein auf den wechselnden Sprachgebrauch politischer Leitbegriffe noch fällt sie der simplizistischen Kontrastierung von Idee und Wirklichkeit anheim.
Florian Weber (FW)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.22 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Florian Weber, Rezension zu: Jörn Leonhard: Liberalismus. München: 2001, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/15452-liberalismus_17596, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 17596 Rezension drucken