Geschichtswiss. Diss. HU Berlin; Gutachter: H. A. Winkler, H. Kaelble, W. Hardtwig. - Eine der wichtigsten Fragen sowohl für die Ideengeschichte wie die politische Geschichte des Liberalismus im Kaiserreich ist seine Reaktion und sein Versagen angesichts der Herausforderung durch die soziale Frage. Manche Antworten sind schon versucht worden, und diese Arbeit geht erneut der ungelösten Frage für einen zeitlich kleinen, aber wichtigen Ausschnitt nach: die Jahre zwischen der innenpolitischen Wende Bismarcks und dem Umfeld seines Ausscheidens aus dem Kanzleramt. Kieseritzky analysiert in großem Detail die liberalen Programme und Persönlichkeiten, ihre Presse und die Pressionen, denen sie sich ausgesetzt sahen. Die Reaktionen auf staatliche Gesetzesvorhaben waren nicht nur von der Ablehnung des Staatsinterventionismus gekennzeichnet. Zu Recht weist Kieseritzky auf die Tradition liberalen sozialpolitischen Engagements von Schulze-Delitzsch bis Naumann hin, die aber ebenso wie die bedeutsamen Ansätze auf kommunaler Ebene letztlich im Gesamtliberalismus nicht durchsetzungsfähig war. Dies verbindet er mit einer Untersuchung der parteipolitischen Lage des gespaltenen Liberalismus in den Wahlkämpfen seines Untersuchungszeitraumes. Die Arbeit ist eine gediegene, historisch-differenzierte Untersuchung, die auch Politikwissenschaftlern Einsichten zu vermitteln weiß. Inhaltsübersicht: 1. Herausforderungen des Liberalismus: Entwicklungsbedingungen sozialstaatlicher Intervention; 2. Meinungsbildung und politischer Entscheidungsprozeß in den liberalen Parteien; 3. Politische Weichenstellung: Der Streit der liberalen Parteien über die staatliche Intervention 1881 bis 1884; 4. Liberale Reformperspektiven während des Ausbaus staatlicher Sozialpolitik 1885 bis 1889; 5. Neuer Kurs? Sozialstaatliche Impulse und liberale Orientierungsbedürfnisse 1890 bis 1893; 6. Handlungsspielraum und liberale Optionen nach der innenpolitischen Wende 1878/79.