Lexikon des Konservatismus
Schon der Titel dieses Lexikons führt in die Irre, handelt es sich dabei doch nicht um ein Lexikon des Konservatismus, sondern einer bestimmten, sehr eingeschränkten Art von Konservatismus, dem beispielsweise alle liberalen Elemente ebenso fehlen wie jenes präzise und empirisch abgesicherte Begreifen sozialer Tatbestände, das ihn von in realitätsferne Beliebigkeit abwandernden Ideologien unterscheiden soll. Vielmehr handelt es sich hier um jene Form von "Konservatismus", die, in der einschlägigen Wissenschaft auch als "Neue Rechte" definiert, in enger Anlehnung an den Staatslehrer Carl Schmitt einen möglichst homogenen, nach außen (und innen) kampfbereiten und starken Staat fordert und die glaubt, sich durch einen quasi unmittelbaren Zugang zur politischen Realität gegen die heute vermeintlich - weitgehend via "political correctness" durchgesetzte - übliche Tabuisierung gesellschaftlicher Probleme wehren und die für Deutschland nötige Auklärungsarbeit erst besorgen zu müssen. Dieses Programm, seit langem vom Herausgeber dieses Lexikons in seiner Zeitschrift "Criticón" anvisiert und mit vielen der im Lexikon wieder auftauchenden Autoren schon dort durchgefochten, blickt jedenfalls durch die zentralen theoretischen Artikel unübersehbar durch: So zieht einer der heute wichtigsten Vordenker dieser Bewegung, Karlheinz Weißmann, den "deutschen Konservatismus" der Nachkriegszeit (124-128) scharf an den Positionen der Union vorbei, vergißt dabei nicht zu erwähnen, daß auf die christlich-liberale Koalition von 1982 "hier kaum noch jemand Hoffnungen" (127) setzte, sich dann aber Ende der 80er Jahre "eine neue Generation zu Wort meldete", die in der heute als Wochenzeitung erscheinenden "Junge Freiheit" einen Ausdruck findet und sich als "Jungkonservatismus" bzw. "selbstbewußt als '89er'" (128) definiert. Und nach Schrenck-Notzings Worten trieb die "Kulturrevolution der 60er Jahre" einen "theoretisch fundierten konservativen Widerspruch hervor", dessen Positionen in den wichtigsten Zeitfragen heute "unübersehbar (seien), auch wenn diese nicht immer expressis verbis als solche bezeichnet werden" (322). Wieweit diese Positionen aber von einem im Sinne des Art. 20 GG sozial verpflichteten Konservatismus entfernt sind, zeigt Helmut Quaritsch in seinem Artikel "Staat": Reduziert wird Staat auf "Rechtsstaat" und "Verfassungsstaat", dessen gegenwärtiges Bild durch Anspruchsinflation seitens der Bürger und Wehrlosigkeit des Staates gegenüber "Rechtsbrüchen" und "einem als asozial begriffenen Wertewandel" (527) gekennzeichnet sei. Inwiefern Bürger heute selbst politische Mitsprache wünschen - und zwar nicht nur über Plebiszite - und inwiefern zwischen Staat und Gesellschaft heute eher ein (horizontales) Miteinander im Sinne von "Verhandlungssystemen" denn ein vertikales Verhältnis der Über- und Unterordnung besteht, wird einfach übergangen. Verwundert es in einem solchen Lexikon noch, daß der Artikel "Reich" zu den wenigen sehr langen gehört? Wenn der Herausgeber im Vorwort betont, daß "durch ein Nebeneinander literarischer, biographischer, politischer und theoretischer Stichwörter der Spannweite des Konservatismus Rechnung" getragen werden sollte, dann stimmt dies also nur insofern, als in etwa 350 Artikeln durchaus flächig vorgegangen wird, im zentralen Themenbereich aber eben gerade nicht die nötige Differenzierung und "Spannweite" innerhalb des Konservatismus sichtbar wird. Und wenn der Herausgeber "den Konservatismus einem breiteren Kreis erschließen, nicht aber die Pforte einer reinen Lehre mit dem Schwert der Doktrin verteidigen" (12) möchte, wird ihm ersteres aufgrund von Aufmachung und Preis des Werkes gelingen können. Der Leser/die Leserin muß dann selbst sehen, wie er/sie sich mit der gar nicht gelungenen zweiten Absicht auseinandersetzt.