Skip to main content
Christoph Jünke

Leo Koflers Philosophie der Praxis. Eine Einführung

Hamburg: LAIKA Verlag 2015; 231 S.; 18,90 €; ISBN 978-3-944233-33-8
Leo Kofler war in vielerlei Hinsicht „ein typischer Vertreter des ‚westlichen Marxismus‘“ (17) – mit einer Besonderheit: Seine theoretischen Wurzeln liegen im Austromarxismus um Max Adler. Bestimmend für Koflers Arbeiten ist die Suche nach einem dritten Weg zwischen Sozialdemokratie und dem deformierten System des Stalinismus. Kofler steht mit seiner Theorie damit vor demselben Problem wie viele seiner Zeitgenossen: Die unmögliche Aufrechterhaltung einer strikten Trennung von gesellschaftlichem Sein und Bewusstsein. Für Kofler kann es „keine einzige Seite des gesellschaftlichen Lebens geben, keine Beziehung und keine Tätigkeit, die nicht durch das Bewusstsein hindurch“ (20) sich gestaltet. Daraus folgt die Aufgabe, den geschichtlichen Prozess einerseits als sich entfaltende Logik, andererseits aber „gleichermaßen als Tathandlung von Menschen“ (25) zu verstehen. Christoph Jünke rekonstruiert das Schwanken dieses Kofler‘schen Paradigmas zwischen zwei Extremen: Einerseits droht Kofler der Rückfall in den Idealismus, bei dem letztlich doch das Bewusstsein wieder die Geschichte macht. Andererseits scheint damit aber eine Art von geschichtsphilosophischem Trotzkismus möglich zu werden, mit dem erklärt werden kann, warum die politische Demokratie – eigentlich eine bürgerliche Form – regelmäßig gerade nicht von der bürgerlichen Klasse, sondern vom Proletariat erkämpft und verteidigt werden musste. Die Überlegung, wie in eine derart widersprüchliche historische Situation interveniert werden kann, führt Kofler zur Idee einer neuartigen, milieuübergreifenden Avantgarde. Diese müsse bestehen „aus all jenen Individuen, die sich in grundsätzlicher Opposition gegen den spätstalinistischen wie den spätbürgerlichen Antihumanismus und Nihilismus befinden“, beziehungsweise aus allen Gruppen, „die sozial und weltanschaulich quer zur traditionellen Front“ (38 f.) stehen. Kofler wird damit zum Fürsprecher der Neuen Linken und versucht sich an einer „scharfen Abrechnung mit beispielsweise dem ‚Marxo‑Nihilismus‘ der Frankfurter Schule“ (42), die diesen Bewegungen wesentlich kritischer gegenübersteht. Seine Strategie scheitert jedoch erheblich. Kofler wendet sich später – enttäuscht von der grünen Bewegung – völlig von seiner antibürokratischen Kritik ab. Gleichzeitig verwandelt er sich zu einem Verteidiger der autoritären Politik der Sowjetunion und tritt für eine „evolutionäre Entstalinisierung von oben“ (67) ein. Jünke schafft mit seinem Band über Koflers gescheiterte Theorie eine reichhaltige Grundlage für Überlegungen darüber, welche Fallstricke überwunden werden müssen, wenn von der Aktualisierung eines philosophischen Problems eine neue politische Praxis abgeleitet werden soll.
{FG}
Rubrizierung: 5.46 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Christoph Jünke: Leo Koflers Philosophie der Praxis. Hamburg: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38746-leo-koflers-philosophie-der-praxis_47065, veröffentlicht am 13.08.2015. Buch-Nr.: 47065 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken