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Stefan Diederich (Hrsg.)

Land und Industrialisierung in Indien. Langlebigkeit und Wandel des Land Acquisition Act (1894)

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2015 (Moderne Südasienstudien – Gesellschaft, Politik, Wirtschaft 3); 309 S.; brosch., 59,- €; ISBN 978-3-8487-2630-1
Diss. Heidelberg; Begutachtung: S. K. Mitra, D. Rothermund. – Seit den 1950er‑Jahren sind im Zuge der Industrialisierung Indiens zwischen 20 und 60 Millionen Menschen enteignet worden. Die gesetzliche Grundlage bildete hierfür der Land Acquisition Act von 1894 aus der britischen Kolonialzeit, der die traditionellen und gewohnheitsrechtlich begründeten Nutzungsansprüche durch die Vorstellung von „individuellen Eigentumsrechten an Land“ (35) zu ersetzen versuchte und „auf die Bedürfnisse der britischen Kolonialmacht ausgerichtet“ (23) war. Erst 2013 wurde das Gesetz reformiert und strengere Bedingungen für Landenteignungen sowie sozial verträglichere Ausgleichsmaßnahmen beschlossen, auch um die Situation derjenigen Landnutzer_innen zu berücksichtigen, die keine formalen Eigentumsrechte besitzen. Warum überlebte das koloniale Gesetz 65 Jahre indische Unabhängigkeit und wieso wurde es schließlich doch noch reformiert? Nach einer Einführung in das Thema der indischen Landenteignungen geht Stefan Diederich diesen Fragen in zwei zentralen Kapiteln nach. Aus Perspektive des Historischen Institutionalismus, der die Pfadabhängigkeit von Institutionen und deren unintendierte Konsequenzen betont, fahndet der Autor in drei historischen Phasen nach den Gründen der Langlebigkeit des Gesetzes auf den Ebenen Verfassung, Parlament und exekutive Anwendung. Seine zentrale Erkenntnis lautet, dass die politische Elite Indiens die Möglichkeit der Landenteignung „durch eine Rhetorik des ‚wohlwollenden Staates‘ mit Legitimität unterfüttert und somit bestärkt“ (173) und so zu einem „Selbstverstärkungseffekt“ (82) der Institution beigetragen hat. In einer Politikfeldanalyse, die sogenannte Advocacy‑Koalitionen von Reformbefürworter_innen in den Blick nimmt, arbeitet der Autor sodann heraus, wie sich diese Perspektive hin „zu der Wahrnehmung eines sich seiner begrenzten Kapazitäten, seiner unvollständigen Informationen und seiner gefährdeten Legitimität bewussten Staates […], der aus dieser Einsicht den Imperativ der Selbstbeschränkung ableitet“ (282), gewandelt hat. Die gut strukturierte Analyse liefert einen Beitrag zur Diskussion über den wirtschaftlichen Wandel Indiens und den damit zusammenhängenden Herausforderungen für das politische System.
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Rubrizierung: 2.682.22 Empfohlene Zitierweise: Sven-Jacob Sieg, Rezension zu: Stefan Diederich (Hrsg.): Land und Industrialisierung in Indien. Baden-Baden: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39603-land-und-industrialisierung-in-indien_48093, veröffentlicht am 14.04.2016. Buch-Nr.: 48093 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken