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Seyla Benhabib

Kulturelle Vielfalt und demokratische Gleichheit. Politische Partizipation im Zeitalter der Globalisierung. Aus dem Amerikanischen von Ursula Gräfe

Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1999; 121 S.; 18,90 DM; ISBN 3-596-14072-2
Die ältere kritische Theorie, paradigmatisch in den Werken Adornos und Horkheimers verkörpert, arbeitete sich an dem Negativbild einer totalitär geschlossenen, vom Monopolkapitalismus dominierten Gesellschaft ab. Sozialwissenschaftliche Reflexionen, die sich heute noch diesen kritischen Intentionen verpflichtet fühlen, sollten sich nicht nur in methodologischer Hinsicht von dem Theorievorbild lösen, sie sind auch mit strukturell veränderten gesellschaftlichen Widersprüchen konfrontiert, die nicht mehr auf die Utopie der einen vernünftigen Gesellschaft projiziert werden können (10). So markiert die Formel der Strange multiplicity für Benhabib die Gegenwart gleichermaßen unter theoretischen wie unter zeitdiagnostischen Bezügen. Einerseits erhält der Konstruktivismus - angesichts der unbestreitbaren Vielfalt möglicher Positionen und Perspektiven - in den Sozialwissenschaften eine kaum widerlegbare meta-theoretische Position (56). Andererseits bilden weltweite Systemintegration bei gleichzeitiger soziokultureller, linguistischer und ethnischer Zersplitterung die "Bruchlinien, an denen sich die Widersprüche der heutigen globalen Zivilgesellschaft abzeichnen" (28). Benhabib entwickelt vor diesem Hintergrund zunächst das - in der aktuellen politischen Theorie als "Politik der Identität/Differenz" diskutierte - systematische Problem, das den zunehmenden Kämpfen unterschiedlicher Gruppen um politische Anerkennung zugrundeliegt (13 ff.). Primär als Auseinandersetzung mit den Positionen von Taylor und Kymlicka folgt eine Diskussion der Frage, ob kulturell bestimmte Lebensformen innerhalb von Demokratien spezifische (rechtliche) Anerkennung beanspruchen dürfen (33 ff.). Hier argumentiert sie eindeutig von einer diskursethischen Perspektive: daß "die 'Demokratisierung der Sittlichkeit' gegenüber der 'Erhaltung tradierter Lebensformen' vorrangig sein sollte und daß wir moralisch nicht verpflichtet sind, kulturelle Identitäten, die mit einer solchen Demokratisierung unvereinbar sind, am Leben zu erhalten" (58). In den abschließenden Überlegungen zur Staatsbürgerschaft (79 ff.) kritisiert sie überzeugend, daß zumal die Diskussion der zeitgenössischen politischen Philosophie über "Privilegien wie Pflichten einer demokratischen Staatsbürgerschaft [...] in einem soziologischen Vakuum stattgefunden" habe (87). Erst wenn man die unhaltbaren Prämissen einer "geschlossenen Gesellschaft" (86) und der "Staatszentriertheit" (99) aufgebe, werden die Konturen der modernen transnationalen Staatsbürgerschaft sichtbar, die auf der "Partizipation an den verschiedensten Aufgaben und Aktivitäten einer zunehmend globalen Zivilgesellschaft" beruhe. Gerade durch die Verknüpfung von politiktheoretischen Argumenten mit solchen der politischen Soziologie ist Benhabib eine sehr anregende Studie gelungen. Allerdings erliegt auch sie in ihrer Auseinandersetzung mit dem "identitätspolitischen Thema" zuweilen der Gefahr, hinter den neuen Fragen einer "Politik der Anerkennung" die keineswegs überholten Fragen der "Politik der Verteilung" zu sehr zurücktreten zu lassen. Inhalt: I. Strange multiplicity - Die Politik der Identität und Differenz im globalen Zusammenhang; II. Politik der Verteilung versus Politik der Anerkennung; III. Zu Begriff und Institution der Staatsbürgerschaft; Schlußwort für einen internationalen Konstitutionalismus.
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.42 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Seyla Benhabib: Kulturelle Vielfalt und demokratische Gleichheit. Frankfurt a. M.: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/5685-kulturelle-vielfalt-und-demokratische-gleichheit_7398, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 7398 Rezension drucken