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Robert Chr. van Ooyen / Frank Schale (Hrsg.)

Kritische Verfassungspolitologie. Das Staatverständnis von Otto Kirchheimer

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2011 (Staatsverständnisse 37); 251 S.; 29,- €; ISBN 978-3-8329-5404-8
Otto Kirchheimer wird bis heute eine skeptische bis ablehnende Haltung zur Demokratie unterstellt. Es heißt beispielsweise, er habe marxistische Klassenanalyse in seiner Schrift „Weimar – und was dann?“ von 1930 mit Parlamentarismus- und Pluralismuskritik verbunden und seinen Doktorvater Carl Schmitt nur von links interpretiert – er könne als Linksschmittianer bezeichnet werden. Den Herausgebern geht es hingegen darum, Kirchheimer in die Gemeinde der Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft zurückzuholen und zugleich auszuloten, was an seinem Werk noch aktuell ist. So zeigen die einzelnen Beiträge einen linken Sozialdemokraten, der seine Kritik konkreter Fehlentwicklungen in demokratischen Gesellschaften stets aus empirischem Befund, nicht aus Dezisionismus formuliert. Viele Autoren nehmen Kirchheimer gegen Schmitt in Schutz, setzen den Schüler vom Lehrer ab und formulieren so mitunter en passant – wie die Aufsätze der beiden Herausgeber – einen eigenständigen Beitrag zur Schmitt-Kritik. Kirchheimers Analyse des NS ist ein älterer Aufsatz von Saage gewidmet, den man immer noch mit Gewinn liest – allerdings ergeben sich von hier aus Fragen zur politischen Soziologie des NS, die vor dem Hintergrund gegenwärtig überstrapazierter Konzepte wie „NS-Volksstaat“ oder „-gemeinschaft“ weiter zu diskutieren wären. Wie Frank Decker zeigt, ist Kirchheimers einflussreichstes politologisches Konzept, die „Catch-All-Party“, nur partiell tragfähig. Einem weiteren zentralen Thema Kirchheimers, seinen Oppositionsanalysen, ist leider kein eigener Text gewidmet. Mehrere Beiträge regen zur Neulektüre seines Hauptwerks „Politische Justiz“ an. So bedauert William E. Scheuerman, dass sich nach dem 9. September 2001 „viele Gelehrte leichtfertig Carl Schmitt, dem ehemaligen Lehrer und späteren [...] Erzfeind Kirchheimers“ zugewandt hätten, während dessen „Politische Justiz“ einen „ergiebigen Ausgangspunkt“ für die Analyse des „War on Terror“ bilden könnte (226 f.). Insgesamt zeigt das Buch: „Kirchheimers Schriften bleiben aktuell“ und können „den transdisziplinären Dialog zwischen Politik- und Rechtswissenschaftlern im Sinne einer kritischen Rechts- und Verfassungspolitologie [...] befördern“ (15).
Gideon Botsch (GB)
Dr., Dipl. Pol., wiss. Mitarbeiter, Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien Potsdam (http://www.mmz-potsdam.de).
Rubrizierung: 5.46 | 5.41 Empfohlene Zitierweise: Gideon Botsch, Rezension zu: Robert Chr. van Ooyen / Frank Schale (Hrsg.): Kritische Verfassungspolitologie. Baden-Baden: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33794-kritische-verfassungspolitologie_40479, veröffentlicht am 10.05.2011. Buch-Nr.: 40479 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken