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Marc Amstutz / Andreas Fischer-Lescano (Hrsg.)

Kritische Systemtheorie. Zur Evolution einer normativen Theorie

Bielefeld: transcript Verlag 2013 (Sozialtheorie); 406 S.; 29,80 €; ISBN 978-3-8376-2412-0
Die Systemtheorie stand bislang nicht im Verdacht, Anknüpfungspunkte für die Kritische Theorie bereitzustellen. Ungeachtet ihrer Verdienste mit Blick auf die sozialwissenschaftliche Beschreibung gesellschaftlicher Strukturen schien sie doch bislang eben nur das zu sein: Beschreibung – oder auch: eine „Apologie des Bestehenden um seiner Bestanderhaltung willen“ (so Jürgen Habermas, zit. 13). In den vergangenen Jahren haben sich nun allerdings vereinzelte Stimmen zu Wort gemeldet, die der Systemtheorie durchaus ein immanentes kritisches Potenzial zuschreiben, das bislang allerdings nur unzureichend ausgeschöpft worden sei. Die Herausgeber und Autor_innen des Bandes greifen dies auf und sehen durchaus zahlreiche Gemeinsamkeiten, die die Systemtheorie mit der Kritischen Theorie verbinden, so etwa die Grundannahme der Nichtidentität von Menschen und Gesellschaft oder der Fokus auf Paradoxien und Antagonismen als Grundlage von Gesellschaft. Wolle man sich die Systemtheorie Luhmann‘scher Prägung für ein kritisches Theorieprojekt zunutze machen, sei die zentrale Herausforderung – so die Herausgeber und viele der Autor_innen des Bandes –, ihr „normative Haltepunkte“ (9) zu entlocken und somit ihr unausgeschöpftes Potenzial jenseits der bloßen Beschreibung gesellschaftlicher Zustände ins Blickfeld zu rücken. Dass aber selbst dies nicht zwangsläufig notwendig ist, zeigt etwa der Beitrag von Moritz Renner auf anschauliche Weise. Am Beispiel der Voraussetzungen der Reproduktion des Wirtschaftssystems argumentiert Renner, dass die Genauigkeit des analytischen Instrumentariums der Systemtheorie bereits „die Möglichkeitsräume für eine Kritik der Ökonomie in der Weltgesellschaft“ umschreibe (ohne sich dabei als Kritische Theorie zu verstehen). Es bedürfe deshalb „weniger der normativen Ergänzung als vielmehr der konsequenten Anwendung“ (236). Insgesamt bietet das Buch eine spannende Sammlung kritisch‑konstruktiver Auseinandersetzungen aus interdisziplinärer Perspektive, die die Systemtheorie aus ihrem Elfenbeinturm holt, Anknüpfungspunkte für unterschiedlichste Theorierichtungen aufzeigt und sie damit „für gesellschaftliche Auseinandersetzungen um gerechte Ordnungsmuster“ (15) sensibilisiert.
Björn Wagner (BW)
Dipl.-Politologe, Doktorand und Lehrbeauftragter, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.425.464.434.1 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Marc Amstutz / Andreas Fischer-Lescano (Hrsg.): Kritische Systemtheorie. Bielefeld: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37074-kritische-systemtheorie_44357, veröffentlicht am 15.05.2014. Buch-Nr.: 44357 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken