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Angelo Bolaffi

Krise als Chance. Europa neu denken. Im Gespräch mit Peter Engelmann

Wien: Passagen Verlag 2014 (Passagen Gespräche 3); 128 S.; 14,90 €; ISBN 978-3-7092-0131-2
Der italienische Germanist und Übersetzer zahlreicher deutschsprachiger sozialwissenschaftlicher Publikationen Angelo Bolaffi und der Leiter des Passagen Verlags Peter Engelmann führen ein Gespräch über die Handlungsmöglichkeiten Europas in der Krise. Bolaffi zufolge besteht die große Herausforderung für die EU darin, die Führungsrolle Deutschlands innerhalb der Union anzuerkennen. Die anderen Staaten sollten dazu ihre Blockadehaltung gegen den deutschen Kurs aufgeben und sich die Agenda 2010 zum Vorbild nehmen, dies gelte insbesondere für Frankreich und Italien. Bolaffi beschreibt Deutschlands dominante Haltung in der EU, blickt dabei bis zur Schaffung der deutschen Einheit zurück und bildet vor diesem Hintergrund Erfahrungen aus der eigenen Biografie ab. Die westlichen Staaten hätten die Chancen der Wiedervereinigung unterschätzt und Deutschland viel zu sehr misstraut. Die Entscheidung, lediglich eine Währungs‑ und keine umfassende politische Union zu etablieren, habe Europa nachhaltig geschadet und Deutschland in eine umso mächtigere Position gebracht. Bolaffi und Engelmann geben dieser bekannten Diagnose der deutschen Hegemonie allerdings nun eine neue, affirmative Wendung: Margaret Thatcher und vor allem Gerhard Schröder hätten zur richtigen Zeit genau die Reformen durchgesetzt, die in einer globalen Wettbewerbssituation eben zwingend nötig seien. Die südlichen Staaten der EU hingegen, wie Italien und Frankreich, hätten „angesichts des Reformdrucks versagt“ (57). So resultiere die Krise in Italien auch aus strukturellen Schwächen, vor allem aber aus der Stärke der Gewerkschaften: „Die italienischen Gewerkschaften sind bis heute nicht der Meinung, dass die Sozialpartnerschaft die beste Lösung darstellt. Die wollen weiterhin ‚die Kapitalisten fertig machen‘“ (72), kritisiert Bolaffi. Die Autoren wenden sich gegen das Narrativ, die europäische Krise sei durch Deutschland verursacht worden, halten sich aber mit alternativen Erklärungen relativ bedeckt, die sich jenseits des unscharfen Schlagworts der Globalisierung bewegen. Engelmann schlussfolgert stattdessen pragmatisch: „Deutschland, die deutsche Reform‑ und Wirtschaftspolitik, soll […] als Paradigma für Europa dienen“ (105). Erst zum Schluss werden diese Zwischenergebnisse an eine wissenschaftliche Debatte zurückgebunden: Wesentlich sind Anschlüsse an Michel Foucault, dessen Liberalismusanalyse erst die Unterschiede zwischen rheinischem und Manchesterkapitalismus – sprich zwischen der Möglichkeit der Sozialpartnerschaft und immanenter Krisenhaftigkeit – erkennbar werden lässt. Die angeschlossene Kritik an marxistischen Standpunkten zur Krise, „dass Arbeit und Kapital [eben] nicht einen unaufhebbaren Gegensatz bilden“ (110), bleibt dabei allerdings hinter neueren Entwicklungen zurück, in denen der grundlegende Gegensatz des Kapitalismus längst in den Bereich der Wert‑ und Warenform verlegt wurde – und sind damit der alten Dogmatik leider viel näher als gedacht.
{FG}
Rubrizierung: 3.13.53.6 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Angelo Bolaffi: Krise als Chance. Wien: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37999-krise-als-chance_46408, veröffentlicht am 22.01.2015. Buch-Nr.: 46408 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken